Scoring beeinflusst das Kreditwesen, den Handel und den Alltag von Verbrauchern. Von der Bestellung auf Rechnung im Onlineshop über Handyverträge und Kredite sind viele Alltagsgeschäfte von einem Scoring abhängig. Wie funktioniert Scoring heute und wie könnte es vor dem Hintergrund von Big Data in einigen Jahren aussehen? Welche Vor- und Nachteile hat es sowohl für Händler als auch für Konsumenten? Wie wirkt sich das sogenannte Social Scoring, das verschiedenste Nutzerdaten aus dem Internet auswertet, auf Bonitätsprüfungen in der Zukunft aus? Und was bedeutet das wiederum für Händler und Verbraucher?
Im E-Commerce spielt Scoring wohl in keinem anderen Land eine so wichtige Rolle wie in Deutschland. Das hängt damit zusammen, dass die beliebtesten Online-Zahlungsarten hierzulande das Lastschriftverfahren und der Kauf auf Rechnung sind. Online-Käufer zahlen deshalb so gern per Lastschrift und Rechnung, weil sie ihre Bestellung schnell erhalten und gleichzeitig eine gewisse Sicherheit haben: Eine Lastschrift kann der Kunde zurückbuchen lassen, und bei Rechnung zahlt er einfach nicht, wenn die Ware in mangelhaftem Zustand oder gar nicht geliefert wird. Für Käufer ist dies praktisch, für Händler hingegen besteht ein Risiko für Zahlungsausfälle. Um sich gegen schwarze Schafe abzusichern, können Shopbetreiber daher eine Bonitätsprüfung durchführen lassen. Ein hohes Ausfallrisiko tragen insbesondere Händler, deren Waren sich leicht wieder verkaufen lassen, etwa Anbieter von Elektronikprodukten oder Kleinmöbeln.
Bonitätsbewertung in Sekundenschnelle
Entscheidet sich beispielsweise der Betreiber eines Elektronik-Onlineshops dafür, sein Risiko bei den Zahlarten Lastschrift und Rechnungskauf durch Scoring zu minimieren – wie wird die Zahlungsfähigkeit eines Shoppers geprüft, der ein LCD-TV-Gerät im Wert von mehreren hundert Euro bestellen möchte? Dazu muss vorweg gesagt werden, dass es ein von Scoring-Dienstleistern streng gehütetes Geheimnis ist, wie der Vorgang im Einzelnen funktioniert. So viel steht allerdings fest: Der Käufer bekommt nicht einmal mit, dass im Hintergrund seiner Bestellung eine Einstufung seiner Kreditwürdigkeit erfolgt, das Scoring geschieht innerhalb von Sekunden. Fällt es positiv aus, hat der Käufer die Auswahl zwischen der ganzen Palette an Bezahlmethoden, inklusive Lastschrift und Rechnungskauf. Ergibt die Analyse jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde die Rechnung nicht bezahlen wird – sei es vorsätzlich oder unverschuldet –, bekommt er im Check-out nur Zahlarten angeboten, die aus Händlersicht sicher sind. Dazu zählen etwa Kreditkartenzahlung oder Überweisung: Bei beiden Verfahren geht das Geld beim Händler ein, bevor er die Ware versendet.
Informationen aus mehreren Quellen
Um für einen Online-Kunden einen Scoring-Wert zu ermitteln, bedient sich ein entsprechender Dienstleister mehrerer Quellen. Dazu gehören klassische Auskunfteien wie die Schufa, Bürgel oder Creditreform sowie verschiedene öffentlich zugängliche Verzeichnisse. So müssen beispielsweise Insolvenzgerichte die Eröffnung von Unternehmens-, aber auch von Privatinsolvenzverfahren bekanntgeben, und Amtsgerichte machen einen Eintrag im Schuldnerverzeichnis, wenn ein Schuldner nach einem erfolglosen Pfändungsversuch des Gerichts eine eidesstattliche Versicherung über seine Vermögensverhältnisse abgeben muss. Klassische Auskunfteien und öffentliche Verzeichnisse allein liefern jedoch noch keinen aussagekräftigen Scoring-Wert: Zum einen dauert es eine gewisse Zeit, bis aktuelle Informationen eingetragen werden, und zum anderen werden die Einträge nach einigen Jahren entweder von selbst gelöscht oder der Betroffene kann sie auf Verlangen löschen lassen. Daher nutzen Scoring-Dienstleister auch Datenbanken von Unternehmen, um die Bonität von Online-Kunden zu beurteilen. In der Datenbank HWD etwa führen stationäre und Online-Händler Kontonummern sowie Bankleitzahlen von EC-Karten auf, mit denen Rücklastschriften getätigt wurden. Ein weiteres Beispiel ist die EOS-Gruppe, eine Tochter des Otto-Konzerns, die außerdem Gesellschafterin der Auskunftei Bürgel ist: EOS hat Zugriff auf sämtliche Kundendatenbanken von Otto und bietet somit eine der größten Informationsquellen über die Zahlungsmoral von Konsumenten in Deutschland.
Was die Wohngegend über die Zahlungsmoral verrät
Darüber hinaus trägt noch ein weiteres Puzzlestück zum Scoring-Wert bei: soziodemografische Daten. Dahinter verbergen sich in erster Linie Daten über die Wohngegend des Käufers. Wohnt er etwa in einer Gegend mit hohem Mietpreisspiegel, in der verhältnismäßig viele Autos hochpreisiger Marken zugelassen sind? Wer es sich leisten kann, hier zu wohnen, verfügt mit großer Wahrscheinlichkeit über eine entsprechende Zahlungsfähigkeit. Nur mit großer Wahrscheinlichkeit, wohlgemerkt – die Bewohner einer bestimmten Gegend bilden selten eine völlig homogene demografische Gruppe, ganz zu schweigen davon, dass der Kunde bei der Bestellung nicht zwingend seine eigene Adresse angibt, sondern eventuell die seiner Eltern, seines Partners etc. Insgesamt entwickeln Scoring-Dienstleister ihre Verfahren jedoch auf Basis aller genannter Datenquellen: klassische Auskunfteien, öffentliche Verzeichnisse, Datenbanken von Unternehmen sowie Soziodemografie. Heraus kommt ein Wert, der die Wahrscheinlichkeit angibt, mit der ein Kunde seine Bestellung bezahlen wird. Je nachdem, welchen Mindestwert der Händler zuvor festgelegt hat, bekommt der Kunde dann automatisiert die Zahlarten Lastschrift und Rechnung angeboten – oder eben nicht.
Scoring im Zeitalter von Big Data
So funktionierte Scoring im E-Commerce bislang. Doch die immer weiter fortschreitende Digitalisierung des Alltags – Stichwort Big Data – bringt auch in diesem Bereich ganz neue Nutzungspotenziale hervor. Konsumenten hinterlassen in sozialen Medien Unmengen von Daten: über die eigene Person, den beruflichen Werdegang, das soziale Umfeld sowie über persönliche Vorlieben und Interessen. Viele dieser Informationen geben auch Hinweise auf die Kreditwürdigkeit der jeweiligen Person. Ist sie etwa auf Facebook vor allem mit Akademikern befreundet? Liket sie viele Seiten teurer Konsumgütermarken? Hat sie auf Xing oder LinkedIn als aktuellen Arbeitgeber ein namhaftes Unternehmen angegeben? All das deutet darauf hin, dass sich potenzielle Gläubiger bei diesem Kunden wenig Sorgen um ihr Geld machen müssen.
Mosaik aus tausenden von Datenpunkten
Vorreiter auf dem Gebiet dieses sogenannten Social- oder Big-Data-Scoring ist das Hamburger Start-up Kreditech. 2012 gegründet, verfügt das Unternehmen bereits über mehr als 200 Mitarbeiter und Tochtergesellschaften in neun Ländern. Das Geschäftsmodell: Kreditech verleiht Geld an Konsumenten, auch an solche, denen eine Bank aufgrund eines negativen Eintrags bei einer Auskunftei keinen Kredit geben würde. Kreditech aber gewährt diesen Personen Kleinkredite zwischen 50 und 500 Euro, wenn sie dem Hamburger Unternehmen Einkommen sowie Arbeitgeber verraten und ihm erlauben, das Web nach verschiedensten weiteren Informationen über den Antragsteller zu durchforsten. Komplexe, intelligente Algorithmen werten Datenspuren aus, die dieser in Webbrowsern, Datenbanken, sozialen Netzwerken und Plattformen wie Ebay und Amazon hinterlassen hat. Technische Daten über das verwendete Gerät – neuestes iPhone oder alter Billig-PC – fließen genauso in die Bewertung ein wie Merkmale der Facebook-Freunde und die Art und Weise, wie das Antragsformular ausgefüllt wird: Dauert es eine Minute, bis dem Antragsteller sein Arbeitgeber einfällt? Oder betätigt er häufig die Löschtaste? Aus rund 20.000 Datenpunkten ist so nach wenigen Minuten ein Gesamtbild der Person entstanden, aus dem sich ein aussagekräftiger Prognose-Wert über deren zukünftiges Zahlungsverhalten ableiten lässt.
Ergänzung zu etablierten Methoden
In Deutschland hatte Kreditech die Vergabe von Krediten – auf die das Start-up 15 bis 30 Prozent Zinsen erhebt – bereits nach wenigen Wochen eingestellt, um einer von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) angekündigten Überprüfung des Geschäftsmodells zuvorzukommen. In anderen Ländern bietet Kreditech den Service jedoch weiterhin an und arbeitet parallel an einem zweiten Geschäftszweig. Ziel ist, eine internationale Scoring-Datenbank aufzubauen und auf deren Grundlage Bonitätsauskünfte insbesondere für E-Commerce-Unternehmen anzubieten. Ist das der Anfang vom Ende klassischer Scoring-Verfahren? Dass Social Scoring herkömmliche Methoden zur Bonitätsprüfung ablösen wird, ist derzeit nicht absehbar. Die bewährten Scoring-Methoden stützen sich zum größten Teil auf harte Fakten, auf tatsächliche Ereignisse in der Zahlungshistorie eines Kunden – diese Informationen werden auch weiterhin die Grundlage von Bonitätsprüfungen bilden. Klassische Scoring-Anbieter werden jedoch die Möglichkeiten ausloten, ihre Verfahren um Social Scoring zu ergänzen. Dieses punktet insbesondere durch die Aktualität der Daten und die Analyse tausender Datenpunkten innerhalb kürzester Zeit. Damit bietet Social Scoring für klassische Anbieter nicht zuletzt eine Möglichkeit, die Anzahl sogenannter False Positives zu reduzieren: Gemeint sind Kunden, die wegen fehlender oder veralteter Daten einen negativen Scoring-Wert erhalten, obwohl sie (wieder) uneingeschränkt kreditwürdig sind. Solche Fälle kommen leider immer wieder vor, wobei sich die Häufigkeit nur schwer beziffern lässt. Umgekehrt birgt Social Scoring jedoch auch das Risiko, Personen mit schlechter Bonität gut zu bewerten – dann nämlich, wenn sich jemand eine Art digitale Maske zugelegt hat und in den sozialen Netzwerken vorgaukelt, jemand zu sein, der er nicht ist. In Deutschland wird Social Scoring die etablierten Verfahren also eher ergänzen als ersetzen. Im internationalen E-Commerce sieht dies anders aus, gibt es doch in vielen Ländern nichts, was mit der deutschen Schufa vergleichbar wäre. Dort könnte Social Scoring ein Weg für Händler sein, um überhaupt an kostengünstige Bonitätsbewertungen zu kommen.
Bonitätsprüfung bald durch Google?
Ohnehin ist es gut möglich, dass Bonitätsprüfungen im E-Commerce an Bedeutung verlieren werden, je mehr sich Zahlverfahren wie PayPal und Kreditkarte durchsetzen. Bei elektronischen Wallets wie PayPal würden die entsprechenden Anbieter über genügend Daten zum Zahlungsverhalten ihrer Kunden verfügen, um selbst für die Bonitätsprüfung sorgen zu können. Denkbar ist auch, dass Unternehmen wie PayPal, Apple oder Google, sollten sich deren Payment-Lösungen breit durchsetzen, selbst zu Anbietern von Bonitätsprüfungen werden. Die Zahlung per Kreditkarte ist für Online-Händler ebenfalls sehr sicher, da eine Kreditkartentransaktion erst dann abgeschlossen wird, wenn die Bank des Karteninhabers den Vorgang autorisiert. Hierfür wird automatisiert geprüft, ob die Karte gültig ist und ob der Betrag das Kreditkartenlimit nicht übersteigt.
Fazit
Ab Warenkörben von etwa hundert Euro lohnt es sich für Online-Händler, von ihrem Payment-Dienstleister ein Scoring durchführen zu lassen – zu groß ist sonst das Risiko nicht bezahlter Rechnungen und zurückgebuchter Lastschriften. Gegenwärtige Verfahren zur Bonitätsbewertung verwenden hauptsächlich Informationen, die in direktem Bezug zur finanziellen Situation und zum Zahlungsverhalten des Betroffenen stehen: offene Forderungen, Insolvenzverfahren, Pfändungen etc. Social Scoring bietet im Kontext von Big Data eine ganz andere Herangehensweise. Intelligente Algorithmen setzen alle Daten, die das Internet über eine Person hergibt, zu einem Gesamtbild zusammen, und leiten daraus wiederum die zu erwartende Zahlungsmoral ab. Auch wenn dies anonymisiert geschieht, dürfte die Vorstellung bei vielen deutschen Verbrauchern Unbehagen hervorrufen. Aus diesem Grund und auch deshalb, weil es in Deutschland andere, bewährte Verfahren zur Bonitätsprüfung gibt, wird es Social Scoring bei uns schwerer haben als in anderen Ländern.
Autor: Mirko Hüllemann, Geschäftsführer der Heidelberger Payment GmbH (www.heidelpay.de)
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