Im Gespräch mit Dr. Jörg Storm hinterfragten wir, wie Künstliche Intelligenz (KI) im Mittelstand angegangen werden muss. Jörg ist KI-Experte, LinkedIn-Influencer und Automobil-Konzerner. Mit seiner Erfahrung reflektieren wir den Status Quo in Sachen KI bei mittelständischen Unternehmen.
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Dr. Jörg Storm ist bei einigen KI-Projekten eingebunden. Als Trusted Advisor berät er Projektteams, wie Künstliche Intelligenz Schritt für Schritt erklommen werden kann. Sein Wissen teilt er auf LinkedIn mit seinen rund 600.000 Followern und mit uns in diesem Interview.
Zunächst müssen wir klären, was wir unter Künstlicher Intelligenz verstehen. Denn nicht überall, wo KI draufsteht, ist auch KI drin. Und nicht jede smarte Funktion, die uns wie eine Intelligenz erscheint, ist auch eine KI. Also, was bedeutet es, wenn man von generativer KI spricht?
Was generative KI bedeutet
Unter künstlicher Intelligenz verstehen wir Computersysteme, die Dinge wie Menschen tun können, also zum Beispiel lernen. Machine Learning ist eine Art von KI, die aus Daten lernt, ohne dass man ihr sagt, was sie tun soll. Mit Deep Learning ist eine fortschrittlichere Form des Machine Learnings gemeint, die gehirnähnliche Strukturen, so genannte neuronale Netze verwendet. Generative KI beschreibt eine Künstliche Intelligenz, die eigene neue Dinge erschaffen kann, wie zum Beispiel Texte, Bilder oder Musik.
Die größten Fehler bei KI-Projekten
KI ist derzeit in aller Munde und die meisten von uns werden schon mal ein bisschen mit OpenAI’s ChatGPT herumprobiert haben.
Es lässt uns erahnen, was für Möglichkeiten darin stecken. Laut Goldman Sachs könnte der Impact von Künstlicher Intelligenz größer als Elektrizität sein. Die Unternehmensberatung PWC beziffert AI auf ein Potential von 15,7 Trillionen Dollar bis 2030. Das sind beeindruckende Zahlen. Sie offenbaren gleichzeitig, welchen Kardinalsfehler Unternehmen in Sachen KI machen können: Denn wer mit diesen Informationen an der Hand immer noch die Hände im Schoß liegen lässt, hat es nicht verstanden, ist Jörg Storm überzeugt. Das sind seiner Meinung nach vor allem die Unternehmen, die immer noch ein Faxgerät nutzen.
„Der allergrößte Fehler besteht darin, nichts zu tun!“
Dr. Jörg Storm
Also: Ausprobieren und offen sein für die neuen technologischen Möglichkeiten und Chancen. Doch das reicht nicht, denn hier liegt auch schon das Risiko eines zweiten, weit verbreiteten Fehlers: Viele Unternehmen setzen nur auf die mediengepeitschten KI-Engines von OpenAi. Der Einsatz von ChatGPT hat zwar viele Vorteile. Allerdings teilt man mit der KI auch Informationen, die den Markt und die Mitbewerber interessieren könnten. Außerdem existiert mittlerweile eine Vielzahl an spezialisierten KI-Systemen, die für einzelne Anwendungsbereiche optimiert sind. Außerdem gibt es neben ChatGPT auch weitere große Sprachlernmodelle wie Googles Bard, Metas LLaMA, Vicuna, Pythia und CodeGeeX.
Ein dritter Fehler besteht in der falschen Herangehensweise bei dem Einsatz von KI. Viele Mitarbeiter:innen haben Angst. Entweder vor einem Verlust ihres Jobs oder davor, aufgrund ihres Alters die neue Form der Technologie nicht mehr zu verstehen. Das ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen, schließlich mutmaßen Experten, dass innerhalb der nächsten drei Jahre 34% der Mitarbeitenden durch KI wegrationalisiert bzw. automatisiert werden. Hier ist vor allem das Management gefragt, von vorn herein transparent und mit Fingerspitzengefühl zu kommunizieren, um die Mitarbeiter:innen bei der Stange zu halten und für den Change zu motivieren. Allerdings ist das mit dem Change so eine Sache, wie wir wissen – vor allem im Mittelstand. Also, wie sieht es denn konkret für den Mittelstand aus in Sachen KI?
Die Herausforderungen von mittelständischen Unternehmen bei der Implementierung von KI
Mittelständler stehen bei der Implementierung von KI vor verschiedenen Herausforderungen. Eine davon sind Ressourcenbeschränkungen, da sie oft über begrenzte finanzielle Mittel und Fachkräfte verfügen, um in KI zu investieren und diese erfolgreich zu implementieren. Zudem könnte es an der Datenqualität und -quantität mangeln, da KI-Systeme große Mengen hochwertiger Daten benötigen, um effektiv zu funktionieren.
Mittelständler könnten Schwierigkeiten haben, ausreichende Daten zu sammeln und zu pflegen, die für KI-Anwendungen erforderlich sind. Die Komplexität der Technologie ist eine weitere Hürde, da KI Fachkenntnisse erfordert, um sie zu verstehen und einzusetzen.
Die Anpassung von Geschäftsprozessen ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt, denn die Integration von KI in bestehende Abläufe erfordert oft Anpassungen und Änderungen. Mittelständische Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Organisation bereit ist, diese Veränderungen zu akzeptieren und als hilfreichen Teil der Prozessoptimierung anzunehmen. Zudem müssen sie Faktoren der Risikominimierung und Compliance beachten, da die Nutzung von KI mit rechtlichen und ethischen Risiken verbunden sein kann, insbesondere im Hinblick auf Datenschutz und -sicherheit. Alle relevanten Vorschriften und Richtlinien sollten die Unternehmen im Auge behalten, um potenzielle Risiken zu minimieren. Nicht zuletzt stehen mittelständische Unternehmen oft in einem starken Wettbewerbsumfeld und müssen möglicherweise schnell auf Marktveränderungen reagieren. Die Implementierung von KI erfordert jedoch Zeit und Ressourcen, die möglicherweise nicht sofort zur Verfügung stehen. Diese Herausforderungen können durch eine sorgfältige Planung, strategische Partnerschaften und Investitionen in Schulungen und Infrastruktur bewältigt werden.
Die ersten praktischen Schritte beim Einsatz von KI im Unternehmen
Im ersten Schritt sollte ein Unternehmen ein kleines KI-Team zusammenstellen, dass in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung KI vorantreibt. Zu Beginn sollten Unternehmen für sich hinterfragen, welche Potentiale mit AI gehoben werden können. Hierzu dienen KI-Assessment Systeme, die häufig mit Reifegrad-Modellen arbeiten. Der Status Quo des Unternehmens lässt sich damit schnell identifizieren. Außerdem erarbeitet das KI-Team gemeinsam mit der Führung konkrete Ziele, die sich ebenfalls im Reifegrad-Modell wiederfinden. Um die Lücke zwischen Status Quo und Ziel zu schließen, werden verschiedene Aktivitäten und Handlungspakete abgeleitet. Diese müssen im Detail kalkuliert werden, sodass sich ein Return on Investment errechnen lässt. Schließlich hat KI entscheidenden Einfluss auf das Business Modell. Hinter vielen Handlungspaketen verstecken sich somit auch Business Cases.
Typische Quick Wins sieht Jörg zum Beispiel im Einsatz von KI im Service. Mit Hilfe von 24/7 trainierten Service Bots lässt sich Geld sparen und mehr Kundenservice bieten. Außerdem ist die Beantwortung von Kundenfragen in beliebig vielen Sprachen möglich.
„Der Bot ist nie krank und immer gut aufgelegt!“
Dr. Jörg Storm
Auch im Marketing und Vertrieb lassen sich mit Künstlicher Intelligenz schnell Quick Wins erzielen. Beispielsweise lassen sich Marketingbotschaften personalisieren und Angebote automatisieren. So können die individuellen Präferenzen der Kunden in der Kommunikation und im Vertrieb genutzt werden, um Umsätze zu steigern.
Ein weiterer Anwendungsbereich lässt sich in der Qualitätskontrolle abbilden. Mittelständler können KI-basierte Bilderkennungssysteme einsetzen, um Produktionsprozesse zu überwachen, Qualitätskontrollen durchzuführen und Fehler frühzeitig zu erkennen. Dadurch können Produktionsausfälle reduziert und die Produktqualität verbessert werden.
Auch die Optimierung von Lieferketten ist mit Hilfe von KI möglich, indem sie Lieferzeiten prognostiziert, Lagerbestände verwaltet und Transportrouten optimiert. So lassen sich Kosten senken, Lieferzeiten verkürzen und die Effizienz in den Logistikprozessen steigern.
In der IT lassen sich viele Aufgaben mit Hilfe von KI optimieren. Allein im Bereich Cybersecurity können Aufgaben wie zum Beispiel Fraud Detection mit KI betrieben werden. Laut einer Studie von IDC und Microsoft setzen befragte Organisationen am stärksten auf die Automatisierung von IT Tasks.
Generell sollte man entlang der Wertschöpfungskette eines Unternehmens analysieren, welche Prozesse sich dazu eignen, mit Hilfe von KI optimiert zu werden.
Wieviel Budget Firmen für KI brauchen
Ohne Investition lässt sich Künstliche Intelligenz nicht nutzen. Aber wie viel Budget muss ein mittelständisches Unternehmen aufbringen, um sich der KI für die ersten Schritte zu widmen?
„Mittelständische Unternehmen sollten zu Beginn ein Strategie-Budget von 50.000 bis 100.000 Euro schnüren, um die Potentiale von KI zu prüfen und eine Roadmap für die nächsten Schritte zu konzipieren.“
Dr. Jörg Storm
Die Erarbeitung eines Konzepts ist die Grundlage für den Umgang mit KI im Unternehmen. Aber das wirkliche Budget wird erst durch die Umsetzung des Konzepts beschrieben. Das Konzept bildet damit die strategische Ausrichtung und stellt heraus, wie die Unternehmensziele mit Hilfe von KI besser, schneller oder kostengünstiger erreichbar sind. Laut einer Studie des IDC wird aus einem Invest von einem Dollar in KI ein Return von 3,5 Dollar. Dabei stellen sie heraus, dass 5% der weltweiten Organisationen einen durchschnittlichen Return auf einen Dollar in Höhe von 8 Dollar erreichen. Beim Blick auf die Zeit, bis KI-Projekte umgesetzt sind, besagt die Studie, dass 92% der KI-Projekte weniger als 12 Monate benötigen. 40% schaffen eine KI Implementierung gar in weniger als 6 Monaten.
Unternehmen kommen irgendwann an den Punkt, an dem sie entscheiden müssen, ob sie sich für Standard-KI-Lösungen oder für individuelle Lösungen aussprechen. Standard-Lösungen sind schnell anwendbar. Allerdings besteht das Problem darin, dass sensible Informationen an Softwaresysteme weitergegeben werden, die ggfs. in Ländern beheimatet sind, die anders mit dem Datenschutz umgehen als Deutschland und Europa.
Die Alternative besteht darin, KI-Systeme On Premise, also auf eigenen Servern im Inland zu hosten. Der Betrieb von KI Anwendungen auf eigenen Servern bedarf aber mehr Wissen und eines höheren Budgets. Wenn die KI schließlich in eigene Prozesse und Lösungen eingebunden wird, kann sie die höchste Effizienz abbilden. Trotzdem rät Jörg davon ab, im ersten Schritt mit KI an die Kernprozesse ranzugehen.
Fazit
Ein großer Fehler besteht darin, Künstliche Intelligenz zu unterschätzen. Sie ist eine radikale Veränderung unserer Gesellschaft. Sie ist Risiko, aber vor allem auch Chance. Künstliche Intelligenz kann die Effizienz von Prozessen stark steigern. Nicht alle Tools sind für alle Unternehmenszwecke gleich geeignet. Eine Verprobung von KI-Lösungen ist eine wichtige Aufgabe für Unternehmen, die kontinuierlich fortgeführt werden sollte. Schaffe also ein Budget für KI, falls noch keins existiert. Noch ist es nicht zu spät, aber Deine Wettbewerber schlafen nicht!
Über Dr. Jörg Storm
Jörg verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung bei Mercedes-Benz in verschiedenen Bereichen wie Vertrieb, Strategie, Audit und IT, sowohl national als auch international in Japan, den USA und China. Aktuell bekleidet er die Position des Global Head IT Infrastructure bei Mercedes Benz Mobility, einer Rechtsseinheit von Mercedes-Benz. Zuvor war er fünf Jahre lang als CIO für Mercedes-Benz China Aftersales Passenger Pkw und Lkw tätig, sowie als CIO für Mercedes Benz in Taiwan und Hongkong. In diesen Rollen hatte er die Verantwortung für die Entwicklung und den Betrieb von lokalen und globalen Aftersales-Anwendungen.
Jörg besitzt einen Bachelor-/Masterabschluss sowie einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften von der Universität Krakau, Polen. Seinen beruflichen Sitz hat er in der Zentrale von Mercedes-Benz in Stuttgart, Deutschland.
Bildquellen
- KI im Mittelstand: Image by rawpixel.com on Freepik
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