contentmanager.de war zu Gast beim Sitecore Symposium in Orlando, Florida. Dort hatten wir Gelegenheit, mit Paige O’Neill, Chief Marketing Officer von Sitecore zu sprechen. In unserem Interview spricht O’Neill über aktuelle Marketing-Trends und Entwicklungen. Im ersten Teil, den Sie hier lesen können, sprachen wir darüber, warum Erfahrungen inzwischen wichtiger sind als materielle Güter, wie eine Marke als wirklich authentisch wahrgenommen werden kann und warum es so entscheidend ist, auf die eigenen Kunden zu hören. Im zweiten Teil sprechen wir über (Micro-)Influencer, stellen die Frage, ob die Grenze zwischen CRM und Marketing verschwimmt und Podcasts als Instrument im Content-Marketing.
Vom Aspekt der Authentizität lässt sich der Sprung zum Thema „Influencer“ machen, auch ein großes Thema bei unseren Lesern in Deutschland momentan. Denken Sie, dass es dort aktuell eine Blase gibt? Denn jeder möchte ein „Influencer“ sein. Gibt es hier das Potential, dass diese Blase platzt?
Wahrscheinlich. Es ist sicherlich overhyped momentan. Es gibt Influencer, die machen 100.000 Dollar pro Post. Bitte was? Wir haben wohl die falschen Jobs. Wegen diesem großen Hype wird es schwieriger werden, diesen Status zu erlangen. Einfach, weil immer mehr Menschen versuchen, Influencer zu werden.
Marketer sind immer auf der Suche nach der effektivsten Taktik. Denken Sie mal ans E-Mail-Marketing. Da freut man sich über eine 1-%- Opening Rate. Funktioniert also nicht so gut wie das Influencer-Marketing: Da gibt es ein 1:6 Return of Investment. Deswegen ist es so spannend für Marketer gerade. Aber ich stimme Ihnen da schon zu: Es wird schwieriger, diesen Influencer-Status zu erlangen. Denn einige von ihnen kamen aus dem Nichts und waren schnell sehr populär. Das Fenster, ähnliches zu erreichen, schließt sich also gerade. Ein bisschen wie bei den Domains: Am Anfang konnte man noch jede .com-Adresse bekommen, inzwischen ist das wesentlich schwieriger. Man kann nicht einfach jede beliebige Adresse bekommen. Ähnlich könnte es bei den Influencern aussehen. Oder eine Marketing-Taktik taucht auf, die effektiver ist.
Aber ich denke schon, dass die Idee, dass persönliche Empfehlungen die vertrauensvollste Kaufquelle sind, weiterhin Bestand hat. Denn Influencer stehen uns ja nicht so nahe wie Freunde oder Kollegen, die uns etwas empfehlen.
Da könnte das Thema Micro-Influencer spannend werden. Also nicht 100.000 Dollar für einen Post ausgeben. Diese sind ja auch nicht wirklich zielführend. Der Influencer hat dann vielleicht 15 Millionen Follower – wie genau ist die Ansprache dann noch? Sitecore nutzt ja auch keine Influencer mit Millionen an Follower, sondern jemand, der Einfluss und Status in seiner Branche hat. Und dieser hat vielleicht 3.000 oder 4.000 Follower.
Genau, im B2B-Bereich machen wir genau das ja schon. Es ist da ein wenig anders. Ich weiß, wer auf der Liste der Top-Marketing-Influencer steht. Manchmal machen wir mit diesen Influencern zusammen ein Projekt, sie schreiben Blog-Posts oder anderen Content für uns. Wir setzen hier auch Paid Engagement ein. Oder wir laden sie zu Konferenzen wie dem Sitecore Symposium ein. Eine andere Gruppe an Influencern sind unsere Kunden. Diese Gruppe hat das Potential, unsere wichtigsten Influencer zu sein. Ich weiß nicht, ob es unbedingt Influencer Marketing ist: Aber, beeinflussen General Mills, wenn sie mit mir auf der Bühne sind, das Publikum? Absolut!
Das führt uns ja wieder zurück zum Thema „Authentizität“. Denn diese Influencer „entstehen“, weil sie das Produkt tatsächlich nutzen. Andere Influencer halten ein Produkt in die Kamera und man nimmt ihnen das nicht wirklich ab.
Als ein Sitecore-Executive kann ich natürlich den ganzen Tag lang erzählen, wie toll unser Produkt ist. Unser Team benutzt es aber tatsächlich jeden Tag, damit wir auch darüber reden können. Aber immer, wenn ein Kunde über unser Produkt spricht, ist das wesentlich authentischer. Wenn ich über das Produkt rede, kaufen mir viele das ab, einige werden aber auch sagen: „Sie ist CMO, sie muss das sagen“. Dieser Authentizitätsfaktor des Kunden ist 100-mal höher als der eines beliebigen Influencers oder eines Mitarbeiters. Vielleicht ist das die Krux dieser Influencer- oder vielmehr Authentizitäts-Blase. Diese Authentizitäts-Blase könnte für die Influencer platzen, aber Authentizität an sich wird weiterhin als sehr wichtig angesehen werden.
Da stimme ich Ihnen zu – denn wenn man an den klischeehaften Influencer denkt, scrollt man durch dessen Feed und jeder einzelne Post hat eine Brand-Message.
Jeder einzelne!
Und an der Stelle verliert man dann die Authentizität. Es geht nicht mehr um ein Erlebnis, sondern nur noch darum, etwas zu verkaufen.
Ich folge vier, fünf Influencern auf Instagram. Einfach, weil ich dachte, dass sie interessante Inhalte posten. Und eine von Ihnen, eine Mittfünfzigerin, hatte eine tolle Story, wie Sie Gewicht verloren hatte. Also nicht der typische Influencer, sondern eine normale, alltägliche Frau. Sie hatte tolle Inhalte, tägliche Outfits die sie postet. Und sie hat nicht gesagt „Kauft das!“. Irgendwann fing Sie dann an, über ein Produkt zu posten. Eine Firma hatte sie kontaktiert und wollte ihr Endorsment. Und alle anderen Posts stellte sie ein und postete nur noch über dieses Produkt. Mein „Authentizitäts-Meter“ ging in den Keller. Ich dachte mir nicht mehr „Ich drücke ihr die Daumen“, sondern „Ich interessiere mich nicht für das Produkt“. Deswegen fing ich auch an, alle anderen ihrer Posts zu hinterfragen. Also ließ sie die Blase selber platzen und ich habe sie entfolgt.
Man kann also zu einem Punkt gelangen, an dem man ein Produkt zu sehr hypt. Und die Nutzer einem nicht abkaufen, dass man wirklich begeistert von ihm ist.
Eine Sache, die mir in den letzten Tagen hier bei diversen Vorträgen beim Symposium aufgefallen ist: Offensichtlich scheint die Grenze zwischen digitalem Marketing und dem klassischen Customer-Relationship-Management ein wenig zu verschwimmen. Wie etwa mit den neuen KI-Funktionen von Sitecore. Man kann jede Message personalisieren und immer näher an jeden einzelnen Kunden herantreten. Nachrichten, die früher von einzelnen Sales-Mitarbeiter geschrieben wurden, die im direkten Kontakt zum Kunden stehen, sind auf einmal Bestandteil vom Marketing.
Wir versuchen ja unsere Kunden wie auch unsere potentiellen Kunden genauso zu erreichen. Daher würde ich schon zustimmen, dass Marketing und CRM näher aneinanderrücken. Wir denken viel über „Neue Kunden“ vs. „Bestandskunden“ nach. Aber der Content, den wir für Thought Leadership produzieren, wie wir Erlebnisse aufbauen oder Case Studies erstellen, das alles ist genauso für Kunden wie auch Nicht-Kunden anwendbar. Da verschwimmt die Grenze schon, denn wir haben ähnliche Messages für beide Gruppen. Am Ende des Tages versuchen wir, ihr Sitecore-Universum zu erweitern. Daher ergibt das schon Sinn.
In einem Talk gab es ein Beispiel einer Versicherung, bei dem ein Kunde automatisiert eine Nachricht am Ende des Jahres bekam. Mit allen Leistungen, welche die Versicherung ihm gebracht hat. Das wäre etwas gewesen, dass vor ein paar Jahren ein Vertreter als Brief oder E-Mail händisch erledigt hätte. Nun ist es komplett automatisiert, von der gleichen Marketing Suite.
Exakt. Wir setzen ebenfalls Nurture-Kampagnen für unsere Kunden und Leads.
Was ist für Sie aktuell gerade der größte Trend im Marketing, abseits von den bereits besprochenen Punkten?
Ich denke aktuell viel über Content nach. Inhalte sind natürlich etwas, in das Marketing-Abteilungen viel Zeit investiert haben. Die Entwicklung ist, dass wir als Marketer in den höchsten Gang bei der Content-Kreation geschaltet haben, weil die Nutzer-Erfahrung nach Personalisierung verlangt. Das Resultat daraus ist, dass Marketers der Nachfrage nach Content nicht nachkommen können. Es gibt einen großen Trend, anders über Content zu denken und ihn aus verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten: Strategie, Personalisierung, Infrastruktur. Wie skaliere ich mein Team, um personalisierten Content zu erstellen. Wie manage ich das, wie messe ich die Performance. Heute sind wir noch sehr darauf konzertiert, Content für die nächste Kampagne zu erstellen. Wir nehmen uns gar keine Zeit, zu verstehen, was funktioniert und was nicht. Technologie wird hier einiges automatisieren. Hoffentlich bedeutet das, dass wir irgendwann weniger, aber gezielteren Content produzieren können.
Ein anderer Trend, der besonders in Deutschland aktuell sehr stark ist, ist Audio. Spotify veröffentlicht gefühlt jede Woche fünf neue Podcasts. Auch wegen der Beliebtheit von Geräten wie Alexa und Google Home wird das Thema Audio immer wichtiger. Können Sie diesen Trend auch in den USA beobachten?
Ja, da gibt es auch einen interessanten Trend fürs Marketing. Wenn man noch das Thema „Voice“ dazu nimmt, in Verbindung mit Alexa etwa. Ich habe da einen Artikel gelesen, dass wir in Zukunft das Marketing auch auf die digitale Assistenten ausrichten müssen. Denn irgendwann kommen wir an den Punkt, dass Alexa eine ganze Reihe von Dingen für uns erledigt. Alexa schreibt unsere Einkaufsliste und kauft für uns automatisch ein. Oder managt unsere Reisen, bucht Flüge und Autos. Diese Assistenten können für uns einkaufen und wissen, was unsere Vorlieben sind. Aber sie werden auch darauf programmiert, günstige Deals zu erkennen oder Marketing für neue Produkte zu erkennen. Und diese Technologie ist nicht allzu weit entfernt. Deswegen müssen wir als Marketer verstehen, wie wir uns bei Alexa „vorstellen“ und von ihr berücksichtigt werden.
Und man muss Produktnamen überdenken: Versteht Alexa den Namen? Auch in verschiedenen Versionen?
Das ist ein guter Punkt!
Noch einmal zurück zum Thema Podcasts: Wie sehen Sie das Potential von Podcasts im Content Marketing? Momentan gibt es ja einen regelrechten „Goldrausch“. Unternehmen bringen ihre eigenen Podcasts raus, aber einige werden nach zwei, drei Episoden bemerken: „Oh, ich muss jetzt ja 20 weitere produzieren!“
Einige denken sich „Starte ich mal einen Podcast“. Ich versuche selbst seit einiger Zeit, einen Podcast zu starten und habe viele Ideen für Themen. Aber immer, wenn wir in der Planungsphase sind und uns hinsetzen, stelle ich fest: Ich brauche eine Vollzeitstelle um das zu managen. Es ist also auf jeden Fall ein großer Trend, aber nicht einfach zu skalieren. Viele Leute produzieren jetzt 15-Minuten-Podcasts, was ich toll finde. Ich denke, wir sind noch nicht mal an der Spitze der Podcast-Welle, das fängt gerade erst an.
Die Länge ist ein guter Punkt. Viele gehen an das Thema heran mit der Einstellung „Die Podcasts, die ich höre sind ein, zwei Stunden lang. Also muss meiner auch so lang sein.“ Es gibt da viel Potenzial, zu kürzen.
Wir denken vielleicht alle, dass wir immer Podcasts hören, die eine Stunde lang sind. Aber ich höre oft 15 Minuten davon, denke mir: „Hab’s verstanden“ und mache etwas Anderes.
Zum Abschluss: Dieser Tage wurde Sitecore AI vorgestellt. Was sind Ihre Erwartungen zum neuen Produkt?
Im Laufe der Zeit werden da immer mehr Features vorgestellt werden. Das erste davon ist eine Personalisierungs-Funktion. Sitecore AI ist das Fundament unserer Plattform, darauf bauen wir immer weitere Features auf. Die „Auto Personalization“ ermöglicht es, Unternehmen komplexe Hürden bei den Personalisierungen zu überspringen. Sie können Segmente automatisch testen, bekommen schneller Daten darüber, was funktioniert. Und können dann Content generieren, der automatisch personalisiert wird. Unsere Hoffnung ist, dass wir damit die Komplexität der Automatisierung etwas abbauen können.
Bildquellen
- F_Sitecore_CMO_Paige_Oneill: Sitecore
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