Artikelanalyse im Web – Qualität als Köder


Viel geschrieben – nichts gesagt

Redaktionelle Traffic-Analyse führt dazu, dass Leser mit reißerischen Headlines geködert werden, aber angesichts von Artikeln mageren Inhalts auch genauso schnell und mit einem schalen Gefühl wieder entlassen werden. Das war einmal. Heute können Redaktionen mit intelligenten Webanalytics-Systemen und der differenzierten Analyse des Leserverhaltens auch die journalistische Qualität von Artikeln berücksichtigen. Der so genannte Artikel Score hilft, eine langfristige Online-Strategie für mehr und zufriedenere Leser zu entwickeln.

Die Großen tun es schon lange. Die Kleinen tun es auch. Aber darüber reden, wie sie ihr journalistisches Angebot im Internet messen, analysieren und optimieren, wollen die Redaktionen meist nicht so gerne. Als sei es nicht schon zu Zeiten des Bleisatzdruckes so gewesen, dass Blätter, die den Zeitungsjungs aus den Händen gerissen wurden und Geschichten, die interessierten, weiterverfolgt, recherchiert oder ausgebaut wurden. Was hätte man über einen Redakteur gesagt, der sich nicht dafür interessiert, wie viel Blätter der Zeitungsjunge verkauft, welche Geschichten er herauspickt und welche Schlagzeilen er hinausposaunt, weil die Menschen auf der Straße anbeißen?

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Über Page Impressions und Unique Visitors hinaus

Der Zeitungsjunge von heute ist der Webserver, der die Geschichten um die Welt chauffiert. Auch er weiß, was die Leser interessiert, worauf sie anspringen und was sie nur müde lächeln lässt. Und er wird mittlerweile von den Redaktionen auch ganz genau gefragt. Die laut Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) fünf reichweitenstärksten Nachrichtenportale* in Deutschland verwenden zwischen acht (Spiegel.de)** und 29 (Bild.de)** Analytics- und Tracking-Tools, um das Leserverhalten auf ihren Webseiten zu betrachten. Welche Tools das genau sind, kann man in den Datenschutzhinweisen der Portale nachlesen oder mithilfe von Diensten wie BuiltWith (www.builtwith.com) eruieren, die Webseiten auf die verwendeten Technologien hin durchleuchten. Ob nun fünf oder fünfzehn Analysetools – sicher ist, dass sich Qualitätsredaktionen nicht mehr auf das alleinige Auszählen von Klicks verlassen. Denn die Anzahl von Page Impressions oder Unique Visitors sagt nichts darüber aus, ob der geklickte Artikel gut war. Ob er den Leser gefesselt hat oder ob dieser sofort abgesprungen ist, ob er die Marke wahrgenommen hat, wiederkommen wird, den Artikel weiterempfiehlt.

Article Score – alle Kennzahlen im Blick

Um digitale Inhalte auch qualitativ bewerten zu können, müssen Redakteure neben den Page Impressions weitere Webanalysedaten mitberücksichtigen, etwa die Verweildauer und die Absprungrate, ob der Datenverkehr über Social Media oder über Suchmaschinenanfragen kam, mit welchem Device gesurft wurde oder mit welchem Browser. Damit die Redakteurinnen und Redakteure all diese Zahlen im Blick behalten können und trotzdem noch zum Artikelschreiben kommen, lassen sich die KPIs in einem sogenannten Article Score bündeln. Dabei werden die einzelnen Kennzahlen unterschiedlich gewichtet und für jeden Artikel summiert. Der Article Score spart den Redaktionsmitarbeitern Zeit, da statt mehrerer KPIs nur noch einen Wert betrachtet werden muss. Gleichzeitig zeigt die transparente Berechnung auf, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um einen Artikel interessanter zu machen.

Verweilen statt abspringen

So hat zum Beispiel Webanalyse-Anbieter AT Internet  einen Article Score für Redaktionen entwickelt, der die Leserzufriedenheit anhand zweier KPIs beurteilt: Die Verweildauer ist Kennzahl für das Interesse an einem Artikel sowie für dessen Qualität, die Absprungrate Indikator für die Relevanz eines Themas. Ein Text, der nicht nur mit Reizwörtern lockt, sondern auch gut recherchiert und gut geschrieben ist, wird auch zu Ende gelesen und manchmal sogar geteilt. War der Inhalt interessant, wird der Leser auf der Seite weitersurfen. Verweildauer und Absprungrate sagen etwas darüber aus, ob der Leser eine gute Erfahrung mit dem Angebot und der Marke gemacht hat. Eben viel mehr, als nur die einfache Klickzahl.

Liken und teilen statt zurufen

In dem Article Score fließen zudem der Anteil der Visits über soziale Medien sowie der Anteil der Visits über Suchmaschinen ein. Wird Traffic über diese Kanäle erhöht, steigt der Article Score. Warum das so ist? Das Teilen über die sozialen Netzwerke hat den Küchenzuruf abgelöst, bei dem die Mutter dem abspülenden Vater in die Küche hinein zuruft, was sie gerade Spannendes in den Nachrichten gelesen hat. Man kann davon ausgehen, dass die Schlagzeilen dem Leser heutzutage eher über Facebook, XING, Google oder Bing zugerufen werden, als über die Küchenschwelle hinweg.

Analytics aus dem CMS heraus

Um den Redakteuren die Umstellung und die Arbeit mit dem Article Score zu erleichtern, hilft es, wenn dieser im Redaktions-CMS integriert ist. Das erspart einen zusätzlichen Login und einen Wechsel zwischen verschiedenen Systemen. Und es spart Zeit, die wichtigste Komponente im Redaktionsprozess. Außerdem hilft die tägliche Arbeit mit dem Article Score im CMS den Redaktionsmitarbeitern dabei, ein Vertrauensverhältnis gegenüber den gelieferten Daten aufzubauen. Aus den Teil-KPIs leiten sich Handlungsempfehlungen ab, die direkt in der Benutzeroberfläche zur Verfügung stehen. Ein paar Klicks reichen, um die redaktionellen Inhalte entsprechend der Empfehlungen anzupassen. Auch die Reaktionen der Leser auf die Änderungen können in Echtzeit beobachtet werden.

Auf den Leser zugehen

Wie wichtig es ist, den Leser im digitalen Zeitalter und seine Reaktionen zu beobachten, weiß auch die altehrwürdige New York Times. In einem 2014 veröffentlichten Innovationsreport berichtet sie über ihre digitale Strategie***: „Wir haben uns immer um die Reichweite und Wirkung unserer Arbeit gekümmert, aber wir haben nicht genug getan, um diesen Code im digitalen Zeitalter zu knacken.“ Viele Times-Journalisten hätten sich darauf verlassen, dass ihre Arbeit für sich selbst spricht. Doch in der heutigen, sozial vernetzten Welt, ließe sich das Publikum nur mit der richtigen Kombination aus Inhalt und Darstellung locken. Der Journalist dürfe sich nicht zurücklehnen und darauf warten, dass sich ihm das Publikum nähert. Er müsse auf seine Leser zugehen. Nur so ließe sich der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit – die wichtigste Währung im Medienbetrieb – gewinnen.

Neuen Lesegewohnheiten Rechnung tragen

In diesem Sinne müssen Redakteure, die sich der Erfolgsmessung im Netz widmen, weder genieren, noch um ihre journalistische Integrität fürchten. Bei der Webanalyse im redaktionellen Umfeld geht es nicht darum, sich sklavisch den Konsumgewohnheiten des Mainstream zu unterwerfen, Themen nur nach Lesergunst auszuwählen und Geschichten nach Zahlen zu stricken. Vielmehr kann sie helfen, neu zu bestimmen, was journalistische Qualität ausmacht, angesichts neuer Darstellungsformen und mobiler Kanäle, veränderter Lesegewohnheiten und einer im digitalen Zeitalter aufgewachsenen Leserschaft.

Autor: Adrien Günther, Regional Director DACH & CEE von AT Internet

* Laut AGOF (Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung); https://www.agof.de/pressemitteilung-2016-06-16/

** Laut Online-Dienst BuiltWith (www.Builtwith.com)

*** Quelle: http://www.contentboost.com/topics/content-creation/articles/379074-what-marketers-learn-from-new-york-times-innovation.htm

Bildquellen

  • fine-books_qualitativer-content: unsplash.com - Michael Ramey
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