Manchester City hat es gemacht, WeltN24 ist gerade dabei und die Postbank tut es regelmäßig: Sie lassen ihre User an der Entwicklung digitaler Produkte und Services teilnehmen – über das Internet. Der nachfolgende Artikel gibt einen Überblick über verschiedene Ansätze und Techniken digitaler Co-Creation.
Die neue Website von Manchester City ist aus Sicht der Fans ziemlich cool geworden. Alles andere würde auch verwundern, denn das neue Internetangebot ist in enger Zusammenarbeit mit den Fans von Manchester City entstanden. Die Website www.mcfc.co.uk ist eines von vielen aktuellen Beispielen, die den Trend der Co-Creation bei der Erstellung digitaler Angebote erlebbar machen.
Dank der kollaborativen Zusammenarbeit mit den eigenen Fans entstand unter www.mcfc.co.uk die neue Website des englischen Spitzenclubs, der sich selbstbewusst als „Digital Leader“ und „First Mover“ im Sportbereich positioniert. Weitere innovative Ansätze von Manchester City sind beispielsweise eine „Giphy-Site“, ein Facebook-Messenger-Bot und Virtual Reality-Games.
Die Beteiligung von Usern bei der Entwicklung von digitalen Produkten ist nicht neu: Schon vor über 10 Jahren fand das User Centered Design (UCD) Einzug in die Welt der Internetschaffenden. UCD lieferte mit Personas, Papermodels und Interviews die methodische Basis, um iterativ kundenzentrierte Online-Produkte zu entwickeln. Zuvor gab es in der Regel nur den sog. „Expertenansatz“: Dabei gestalteten Konzepter, Art Direktoren und Entwickler auf Basis von Intuition, Kreativität und Erfahrung ein möglichst einzigartiges Produkt, das nach Fertigstellung mittels „Big Bang“ der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Das führte zwar durchaus zu ziemlich coolen und wegweisenden Ergebnissen, allerdings entstanden auf diese Art auch viele „Big Flops“, weil man allein auf Basis subjektiver Einschätzung und technischer Verspieltheit mit Volldampf an den realen Bedürfnissen von Usern und Kunden vorbei konzipieren kann. Ein mitunter kurzlebiger, daher teurer und zudem frustrierender „Spaß“!
Beteiligung von Kunden bei der Entwicklung digitaler Produkte
Um Risiken zu reduzieren, damit Kosten zu sparen und Wettbewerbsvorteile zu erzielen, hat sich lange vorherrschende „InsideOut“-Kultur im Laufe der Zeit immer mehr Richtung „OutsideIn“-Perspektive gewandelt. Speziell im Umfeld von online-basierten Angeboten ist dieser Change kein Zufall: Es geht heute nicht mehr darum, „fancy Websites“ oder feature-überladene Ecommerce-Angebote zu realisieren. Vielmehr ist das Internet zum digitalen Drehkreuz für Produkte, Services und Businessprozesse aller Art geworden. Kundenorientierung ist dabei ein absolutes Muss: Einerseits ist der digitale Wettbewerb intensiver geworden, andererseits sinkt immer öfter die Kundenbindung: Viele Produkte und Services sind austauschbar.
Sind vor diesem Hintergrund digitale Angebote nicht intuitiv und nutzerorientiert, werden sie entweder gar nicht angenommen oder im Handumdrehen vom User verlassen und anschließend von den Angeboten des Wettbewerbs ersetzt. Wer seine Zielgruppen optimal erreichen und binden will, kann und sollte sie daher an der Entwicklung von Angeboten beteiligen.
Das wiederum ist leichter gesagt als getan: Die Zielgruppen sind fragmentiert und heterogen. Kunden, Partner und Mitarbeiter kommunizieren auf jeweils unterschiedlichste Art und Weise. Darüber hinaus erfolgt die Kommunikation über eine Vielzahl digitaler Devices. Die Evaluation individueller User-Bedürfnisse und Gewohnheiten wird dadurch nicht wirklich erleichtert. Hinzu kommt auch noch der stetige Wandel, daher reicht es nicht aus, Gewohnheiten einmalig oder in großen Abständen zu erfassen. Vielmehr gilt es, Bedürfnisse und Trends immer wieder aufs Neue zu identifizieren, aufzugreifen und die eigenen Angebote anzupassen. Das ist echte Arbeit! Aber was ist die Alternative?
Bei der Beteiligung von Usern geht es allenfalls am Rande um basisdemokratische Ideale: Der kollaborative Ansatz ist vielmehr ein probates Mittel, um Fehlentwicklungen bei der Gestaltung digitaler Angebote frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Mehr noch: Die User identifizieren sich mit dem finalen Ergebnis in hohem Maße – sie werden damit automatisch zu Botschaftern, zu Influencern und Brand-Advocates. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man die Co-Creator und ihren Input tatsächlich ernst nimmt. Tut man das nicht, findet also kein echter Austausch statt, kann sich das Ganze auch zum Bumerang entwickeln: Der „Co-Creation-Fake“ sollte daher unbedingt unterlassen werden, denn wer als User an der Entwicklung mitwirkt, investiert dafür seine (Frei-)Zeit. Dafür darf die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem eigenen Input erwarten. Gleiches gilt für regelmäßige Feedbacks im Hinblick auf den Stand der Dinge: Idealerweise werden von Beginn an Phasen definiert, anhand derer der User erkennt, wo sich der Co-Creation-Prozess gerade befindet, welche (Teil-)Ergebnisse existieren und wann es wie es weiter geht.
Co-Creation ist grundsätzlich nicht neu, allerdings ist aufgrund von sich rasch wandelnden Kundebedürfnissen und stets wachsender technischer Möglichkeiten ein neues Level der Mitwirkung erreicht.
Digital Leadership Dank regelmäßiger Kundenbeteiligung
Das Manchester-Beispiel verdeutlicht noch einen weiteren, eher strategischen Aspekt von Co-Creation: Viele Unternehmen haben intern wie extern das Ziel der „Digital Leadership“ deklariert. Wer das tut, prescht mit viel Power voran und lässt alle anderen schnell alt aussehen. Was wie ein Segen klingt, ist aber auch ein (zumindest kleiner) Fluch, denn dadurch kommt es sowohl auf Seiten der Leader als auch der Follower zu einer Art innovativ-digitaler Kettenreaktion: Aufgrund der immer schnelleren Innovationszyklen müssen permanent neue Ansätze mit den bestehenden Usern und neuen Zielgruppen ausprobiert werden. Daher müssen die vorhandenen Ressourcen realistisch eingeschätzt werden, zudem müssen Projekte mutig priorisiert werden.
Der Trend geht dabei zum Rapid Prototyping, insbesondere zum Testing von „MVPs“ (minimal viable product). Dabei gilt es herauszufinden: Ist ein neues Produkt, ein neuer Service oder ein neues Feature für Kunden tatsächlich relevant? Wollen die Kunden z.B. eine „Giphy“-Site oder (noch) nicht? Falls nein, heißt es: Fail fast, akzeptiere die Kundenwünsche, passe das Konzept an die Lebenswirklichkeit an oder Stelle die Idee ggf. zurück bzw. verwerfe sie. Falls ja, der Bedarf also besteht: Gib Gas und mache aus dem MVP ein richtiges Produkt! Unternehmen müssen sich immer öfter auf diese Form des agilen Trial & Errors einlassen – und dabei die User direkt mit einbeziehen. Internetbasierte Co-Creation hilft dabei, dem Mehrfachziel von Realtime-Marktanalyse, höherer Flexibilität und verbesserter Kundenorientierung näher zu kommen.
Das gilt auch für die vielleicht wichtigste Frage, ob und wie viel Kunden bereit sind, für digitale Angebote zu zahlen – also für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Auch hier liefert Co-Creation einen wichtigen Input, denn es hilft dabei, in iterativen Schleifen die Balance von Invest und ROI zu herzustellen. Dabei zählt vor allem Geschwindigkeit: Benötigt wird Real-Time-Feedback zu MockUps oder Prototypen! Der Time2Market neuer Produkte muss in Zeiten kurzer Innovationszyklen einerseits möglichst rasch und andererseits möglichst planvoll erfolgen: Wer zu langsam agiert, wird vom Wettbewerb überholt. Wer planlos agiert, scheitert aus anderen Gründen.
Infrastruktur für Co-Creation
Web-basierte Co-Creation hilft in diesen und ähnlichen Fällen weiter, Flexibilität, Geschwindigkeit und Struktur miteinander zu verbinden. Auch die Skalierbarkeit ist hoch: Via Crowdsourcing können beispielsweise Kleingruppen mit 25-100 Usern einerseits effizient, andererseits auch individuell angesprochen werden. Mit der gleichen Infrastruktur können aber auch tausende User bei der Entstehung von neuen Produkten mitwirken – und das nicht nur bei der Gestaltung digitaler Produkte, sondern auch bei Entwicklung haptischer Produkte wie z.B. der Goldbären Edition von Haribo oder dem ebenso innovativen wie einzigartigen neuen Kühlschrankdesign von Liebherr. In diesen und ähnlichen Fällen geben sich Open Innovation und Crowdsourcing die Hand und vereinigen sich zur so genannten Crowdsourced Innovation. Dieser Co-Creation-Ansatz bietet aktuell wohl komfortabelste Basis zur kollaborativen Entwicklung von Produkten und Services aller Art.
Das gilt insbesondere bei der Co-Creation von Portalen mit komplexen Rollen- und Rechtssystemen. Je nach Infrastruktur ist es möglich, viele verschiedene Zielgruppen parallel anzusprechen und den jeweils anderen Blick auf ein und das gleiche Portal bzw. eine App zu erforschen. So können Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Bewertung effizient evaluiert und Maßnahmen getroffen werden.
Außen Telefonzelle. Innen Kühlschrank. Das Internet macht es möglich, dass mehrere tausend User bei Co-Creation von Produkten mitwirken können. Das gilt für digitale Services und Produkte ebenso wie für materielle Gegenstände.
Je mehr Menschen an der Produktentwicklung teilnehmen, desto höher sind die Chancen, bislang versteckte Kundenbedürfnisse zu identifizieren und ungewöhnliche Ideen zu generieren. Das gilt sogar für die gemeinsame Entwicklung komplexer Produkte wie einem Auto – siehe localmotors.
Unterschiedliche Tools und Methoden
Vor diesem Hintergrund geht es bei Co-Creation mittlerweile weniger um die Frage des „Ob“, sondern vor allem um die des „Wie“. Das betrifft einerseits die Infrastruktur. Andererseits betrifft es die Methode.
Eine hohe Bandbreite von technischen Möglichkeiten besteht insbesondere bei der Entwicklung von digitalen Angeboten wie einem Portal oder einer App. Diese können mit einfachen Social-Media-Tools oder umfangreichen digitalen Co-Workingtools wie Invision kollaborativ begleitet werden.
Ein aktuelles Co-Creation-Beispiel auf Basis von Social-Media-Plattformen wie Facebook liefert Axel Springer: So wird der Relaunch des Internet-Angebots von WeltN24 kollaborativ durchgeführt: Dabei kann das Portal beta.welt.de auf der dazu gehörigen Facebook-Gruppe von vielen Usern aktiv mit geprägt und gestaltet werden. Diskutiert werden dabei Features, Farben, Bildaufteilung und vieles mehr. Zugleich erfolgt durch die User ein regelmäßiges Bugreporting. Die vielen Pre-Tester finden aufgrund der unzähligen Interfaces by the way heraus, was unter welchen Voraussetzungen bereits gut funktioniert – und was noch nicht. Für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation, ganz einfach deshalb, weil viele User hoch motiviert sind, an der Gestaltung neuer Produkte mitzuwirken.
Co-Creation des neuen Internet-Angebots von WeltN24 als Kombination von Beta-Release und flankierender Facebook-Gruppe. Das Betatesting wird aktiv über die parallel betriebene Stamm-Website beworben.
Wer allein auf Basis von Social-Media-Tools wie Facebook agiert, sollte sich allerdings methodisch umso stärker wappnen, ansonsten verliert man als Nutzer ebenso wie als Betreiber von Co-Creation schnell die Übersicht: Welche Inputs wurden bereits geleistet? Welche wurden berücksichtigt? Wie geht es weiter?
Sich auf Basis von zu viel Idealismus blauäugig auf Co-Creation stürzt, kann daher auch sein blaues Wunder erleben. So oder so ähnlich erging es wohl dem BR-Team beim Launch der sehr erfolgreichen BR24-App. Auch hier war bzw. ist Co-Creation ein wichtiges Element. Das kurz nach dem Launch veröffentliche Statement zum Umgang mit den vielen User-Feedbacks lässt allerdings ahnen, dass es ohne spezialisierte Tools und klare Methoden durchaus knifflig werden kann, die sich z.T. widersprechenden Wünsche der Kunden unter einen Hut zu bekommen.
All das spricht aber nicht gegen das Prinzip der Co-Creation als soclhes. Es verdeutlicht vielmehr, dass es von großem Wert ist, sich dem Thema Co-Creation mit geeigneten Tools und praxisbewährten Methoden zu widmen. Insbesondere beim Prototyping ist darauf zu achten, dass User möglichst früh eingebunden werden und nicht erst dann wenn ein Produkt voll durchkonzipiert oder technisch umgesetzt ist. Zudem ist mit einfachen MVPs, Survey-Modulen und plakativen A/B-Tests zu arbeiten.
Ein Beispiel für regelmäßiges, strukturiert durchgeführte Co-Creation ist z.B. die Postbank. In ihrem Ideenlabor werden auf Basis einer spezialisierten Plattform regelmäßig neue digitale Angebote mittels Co-Creation evaluiert, konzipiert und als MockUp oder Prototyp getestet.
Co-Creation ist nicht gleich Co-Creation: Professionelle Plattformen erlauben die strukturierte Durchführung des Entwicklungsprozesses mit multiplen Projekten, Phasen und Gruppen.
Doch ganz egal welchen Weg man am Ende einschlägt: Das Ziel, seine User bei der Entwicklung neuer (digitaler) Produkte und Services aktiv einzubinden, ist in jedem Fall ein Schritt in eine positive Zukunft. Aus diesem Grund haben auch große Unternehmensberatungen und Software-Unternehmen damit begonnen, sich intensiver mit Co-Creation zu befassen. Ein interessantes Beispiel dafür ist Roland Berger. Dort ist Co-Creation sogar Teil eines umfangreichen strategischen Scorecard-Konzepts im Rahmen von digitalen ECO-Systemen. Auch IBM hat das Thema Co-Creation für sich entdeckt – ganz einfach deshalb, weil die sog. „Millennials“ wie geschaffen dafür sind, um mittels Co-Creation „Social Business“ zu betreiben. Ihnen gehört die Zukunft!
So oder so: Es lohnt sich in jedem Fall, das Thema Co-Creation aufmerksam zu beobachten – als Anbieter, als User und ebenso als Dienstleister. Das gilt insbesondere für die Entwicklung digitaler Angebote und Services, aber auch darüber hinaus, zum Beispiel bei der Entwicklung von Kombi-Produkten wie einem intelligenten Duschkopf, der mittels App gesteuert werden kann. Die neue Welt des Internets der Dinge wird vermutlich einer der wichtigsten Usecases für die Co-Creation in Zukunft!
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