Wie man Enterprise-Anforderungen in der Produktkommunikation definiert und sich von Enterprise-Pauschalisierungen löst
„Viel hilft viel“ ist im Enterprise-Kontext von Unternehmen die gängige Auffassung, wenn es darum geht, das eigene Unternehmen höher, schneller und weiter zu bringen. Und da man ein großes Enterprise-Unternehmen ist, benötigt man logischerweise die größten Software-Hebel, die der Markt bietet. Der Grundgedanke dabei: „Die haben ja alles, was man benötigt, schon irgendwie mit an Bord.“
In meinen beiden vorherigen Artikeln auf contentmanager.de „Traditionelle Handelsstrukturen auf dem Prüfstand“ sowie „Informationsmanagement: „Entschuldigen Sie bitte – Wir haben leider keine Informationen für Sie“ war meine Intention, bei PIM-Projekten auf die entstehenden Changemanagement-Herausforderungen hinzuweisen und Tipps zu geben, wie man mit partnerschaftlicher Zusammenarbeit, neuen Prozessideen, Mut, Aufbruchsmentalität, Kreativität sowie agilen, schrittweisen Methoden erfolgreich ans Ziel kommt – und so Erfahrungen zu Dimensionen sammelt, die Ihr Unternehmen oder Ihr Konkurrent noch nie zuvor gesehen hat.
In diesem Artikel werden wir altes Denken und traditionelle Strukturen noch weiter hinter uns lassen. Wir werden uns mit Enterprise-Anforderungen auseinandersetzen und was Enterprise-Anforderungen wirklich sind. Die Mannschaft und die gemeinsame Vision stehen bereit. Der Proof-of-Concept war erfolgreich. Jetzt widmen wir uns dem Technologiegedanken.
Die Fragen sind: Benötigen wir jetzt die Enterprise-Klasse oder geht es erstmal weiter mit dem Shuttle? Welche Technik ist geeignet und was brauchen wir wann zuerst? Und überhaupt: Wie passt das alles zusammen mit unserem bestehenden Raum-Dock und unseren übrigen Systemen? Das ist eine Challenge, der sich die Mannschaft im PIM-Universum stellen muss. Denn es geht um Investitionen, überschaubare Projektzeiten und um einen schnellen Return-on-Invest.
Der Draufgänger Captain Kirk würde sagen: „Unser PIM-Projekt muss fliegen, koste es, was es wolle.“ Er setzt bei dem Vorhaben auf die neue Enterprise-Klasse in der Luxusausstattung und verfasst bereits den Kaufantrag zur Freigabe durch die Admiralität.
Der pragmatische Scotty erinnert an die überfrachteten und unbekannten, komplexen Funktionen für die schwierige Mission und ahnt: „Rausgehen und anschubsen wird nicht helfen, Sir! Und je komplizierter der Mechanismus, desto einfacher ist es, Verwirrung zu stiften.“
Und der zynische Dr. McCoy mahnt schon jetzt die Entscheidungsfindung und das Fortkommen an: „Die bürokratische Mentalität ist das einzige, worauf man sich im Universum verlassen kann. Wenn das alles noch länger dauert, stirbt der Patient.“
Was macht „Enterprise-PIM“ aus?
Ist es die Größe einer Vision, die Menge des erwirtschafteten Jahres-Umsatzes, die Größe eines Unternehmens insgesamt oder die Menge an Produkten und Daten, die ausschlaggebend sind für benötigte Enterprise-Software?
Weder noch. Es sind die Prozesse. Diese müssen im richtigen Team gut kommuniziert, klug durchdacht und in sich abgeschlossen sein (zur Erinnerung: Conways Gesetz).
Für Enterprise-Bedarfe sind beispielsweise die verschiedenen Rollen, welche die Unternehmung einnimmt, wichtig. Wenn ein Unternehmen gleichzeitig Herstellung/Produktion und Handel übernimmt, sind dies vielfältige, unterschiedliche Prozesse, die aufeinander abgestimmt werden müssen.
Das gleiche gilt für einen intensiven Datenaustausch von unterschiedlich strukturierten Informationen – oder völlig unstrukturierten Informationen aus unterschiedlichen Kanälen wie zum Beispiel Social-Media. Je mehr Händler, Zulieferer, Zwischenhändler, Dienstleister, Touchpoints und Ausgabe-Kanäle sowie bidirektionale Kanäle einzubinden sind, desto komplexer werden die Prozesse.
Des Weiteren verursachen insbesondere personalisierbare Produkte oder Konfigurationsprodukte hohe Prozessaufwände, die hochgradig individuelle Enterprise-Lösungen erfordern.
Weitere klassische Enterprise Anforderungen sind Sicherheits- und Compliance-Aspekte. Dies trifft nicht nur auf verschiedene Branchen, wie zum Beispiel. die Pharma-, Hightech-, Finanz- oder Versicherungsbranche zu, sondern praktisch auf alle Unternehmen, die viele unterschiedliche Märkte international und rechtssicher bedienen wollen.
Nicht zuletzt erfordern die interkulturelle Zusammenarbeit, verschiedene Sprachen, globalisierte Marktplätze und wechselnde Marktstrukturen eine hohe Flexibilität und Skalierbarkeit.
Beyond Software
Eine echte Enterprise-Lösung ist daher nicht automatisch gleichzusetzen mit einer Enterprise-Software, die dann ausschließlich für Enterprise-Unternehmen relevant ist.
Viele kleine und mittelständische Unternehmen sind heutzutage den gleichen Anforderungen ausgesetzt um weiterhin am Markt teilnehmen zu können. Dabei müssen sie – genauso wie Enterprise-Unternehmen – gleichzeitig die eigene Digitalisierung vorantreiben und sich einer wachsenden Konkurrenz und schnell wechselnden Marktgegebenheiten stellen.
Im Umkehrschluss findet heutzutage der direkte Wettbewerb nicht mehr nur auf Augenhöhe zwischen Enterprise-Unternehmen statt. Ein Marktführer kann genauso ein Problem für den Mittelstand darstellen, wie ein Mittelständler seine Enterprise-Konkurrenz durch eine bessere Performance, schnell realisierte Ideen und intelligente Prozesse rasant disruptieren und ausstechen kann. Und das passiert nicht auf Augenhöhe und bleibt daher entweder lange Zeit unerkannt oder wird ignoriert. Bis das Enterprise-Flaggschiff dann erstmal den Kurs gewechselt hat, sich neu positioniert und auf Abfangkurs geht, ist es schon zu spät.
Was hindert Unternehmen bei Ihrer Product-Information-Management-Implementierung?
Die richtige Einordnung von sich selbst im PIM-Kontext ist sehr wichtig. Eine Enterprise-Software nützt großen Unternehmen sowie kleinen Unternehmen nicht viel, wenn die Hälfte der teuer eingekauften Enterprise-Funktionen nicht benötigt werden. Und ob diese später Anwendung finden, weiß man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. „Aber wenn wir wollten, könnten wir irgendwann …“ ist kein Argument. Es ist einfach nur teuer. Die Gefahr besteht, dass man am Anfang nicht nur unverhältnismäßig viel investiert hat, sondern zudem gegenüber schlankeren Systemen höhere Folgekosten entstehen.
Einzige Zielgruppe für PIM-Systeme war ursprünglich das Enterprise-Segment und man hat versucht, für alle nur denkbaren Enterprise-Anforderungen gerüstet zu sein. Dies stellt einen erfolglosen Versuch einer Standardisierung von hochindividuellen, unternehmerischen Prozessabläufen und vorhandenen Systemarchitekturen dar. Das Ergebnis in den Unternehmen: Viele standardisierte Funktionen werden nicht benutzt, weil entsprechende Daten einfach noch nicht vorhanden sind oder ein konkreter Anwendungszweck fehlt. Oder Funktionen sind gänzlich unbrauchbar für die angedachten Prozesse in den Unternehmen und müssen aufwändig angepasst werden beziehungsweise alles andere muss sich wiederum an das PIM-System anpassen.
Das führt dazu, dass umfangreiche Investitions- und Starthürden von Unternehmen jeder Größe bewältigt werden müssen, die eine Product-Information-Management-Strategie verfolgen.
Es gibt jedoch einige PIM-Systeme, die günstige Anschaffungskosten und die wichtigsten PIM-Grundfunktionalitäten bei gleichzeitiger Skalierbarkeit in sich vereinen. Sowieso werden alle PIM-Systeme individuell konfiguriert und ausgebaut. Das fängt bei zugrundeliegenden Datenmodellen und Strukturen im PIM an und hört bei Schnittstellen, Workflowprozessen und Anbindungen für Ausgabekanäle noch lange nicht auf. All das sind Voraussetzungen, die bei Unternehmen immer höchst individuell sind und die sich auch schnell wieder ändern können.
Die Auswahl eines PIM-Systems offenbart dann auch schnell eine weitere Schwierigkeit für den Interessenten: Trotz der vielen internationalen PIM-Anbieter ist der Anbieter- und Dienstleister-Markt weder überschaubar noch transparent und konkret für den Interessenten. Dieser muss sich erst langwierig durch Funktionen, Optionen, Module, Preise, Lizenzen, Schnittstellen, Systemanforderungen, mögliche Dienstleister mit Know-how und zusätzlich aufkommenden Fragen und Antworten durcharbeiten und all das verstehen, um bestmögliche Entscheidungen zu treffen.
Antworten erhält man nicht mal „eben“ auf der Webseite, sondern hierzu sind direkt Ressourcen für Vorstellungs-Termine mit Herstellern und Dienstleistern nötig. Denn was mächtig als Enterprise-Lösung daherkommt, ist auch besonders detailliert und spezialisiert zu beraten und zu verkaufen. Selbst für eine erste Begutachtung des Anbieter-Marktes entsteht so für den Interessenten bereits viel Overhead.
Und nicht zu vergessen: Mit einem PIM-System ändern sich nicht nur althergebrachte und historisch gewachsene Prozesse und Datenquellen, sondern unter Umständen ganze Systemlandschaften. Das nennt man den „Domino-Effekt”.
Wie viel Enterprise benötigt man?
Im Detail zeigt sich, dass Unternehmen, die sich aufgrund der Geschäftstätigkeit oder der eigenen Kultur seit jeher in komplizierten Prozessen bewegen, auch systemisch eine hochgradige und historisch gewachsene Komplexität aufweisen. Trotzdem besitzen Sie für heutige digitale und schnell wechselnde Anforderungen einen eher geringen digitalen Reifegrad.
Der Grund dafür ist nur zum Teil die Technologie, sondern hauptsächlich vergangene Kommunikationsstrukturen, auf deren Basis die jetzigen Prozesse und Systeme entstanden sind. Und Kommunikationsstrukturen haben sich im Laufe der Zeit auch im Markt geändert. Diese bestehenden Prozesse und Systeme müssen zuerst auf den Prüfstand gebracht werden und sind nicht sofort Indikator für Enterprise-Bedarfe. Es besteht sonst die Gefahr, die gleichen Kommunikationsstrukturen einfach erneut in Prozessen abzubilden und dabei nichts zu gewinnen.
Auch die Menge der zu verwaltenden Produkte ist nicht ausschlaggebend. 80.000 Produkte und relativ unkomplizierte Prozesse zur Verwaltung und zum Publishing stellen noch keine Enterprise-Anforderungen dar, sondern sind Standard. Auf der anderen Seite bringen drei Konfigurations-Produkte mit umfangreichen Prozessen und Prozessvarianten, die zugleich automatisiert und über verschiedene Zeitzonen in Echtzeit ablaufen, ganz andere Herausforderungen mit sich.
Um genau diese Prozesse zu optimieren, sind eine passende Unternehmenskultur, agile Umsetzungs-Methoden und ein emphatisches Change-Management wichtiger als die fast schon banale Frage nach dem „richtigen PIM-System“.
Um sich selbst besser zu verorten, ist daher ein vorausgehender Beratungsprozess oder POC („Proof of Concept“) empfehlenswert, um die tatsächlichen Anforderungen ohne „Enterprise-Pauschalisierungen“ herauszufinden.
Fazit
Machen Sie es wie Scotty und passen Sie sich an neue Standpunkte, Anforderungen, Missionen, Gefahren und Erkenntnisse an. Verbessern Sie sich und Ihr Equipment Stück für Stück auf Ihrem Weg ins Unbekannte.
Erfolgreiche Technologie ist immer entsprechend der unterschiedlichsten, jeweiligen Anforderungen und Missionen angepasst. Fliegen Sie zum Mond, benötigen Sie den Lunar-Lander. Fliegen Sie später zum Mars, passt diese Art zu landen nicht mehr. „One Size fits it all“ gibt es nicht und selbst wenn, wäre es viel zu teuer und die Hälfte der Technologie wäre zwar vor Ort, aber nutzlos.
Eine Mischung aus bewährter und neuer Technologie ist, wenn man nicht gerade auf einer grünen Wiese startet, unumgänglich. Auf reibungslose End2End-Prozesse kommt es an. Und vergessen Sie bei all der Technologie nicht, die Menschen abzuholen und mitzunehmen. Kommunikation ist bei IT-Projekten alles und die Basis für funktionierende Systeme.
„Gewagt ist halb getan” ist ein gutes Motto: Gehen Sie schrittweise in die Zukunft, um für sich selbst aussagekräftige Erkenntnisse zu erlangen, die Ihnen auf Ihrer weiteren Reise wirklich helfen. Das bedeutet zusätzlich, dass man auch für Misserfolge bereit sein muss, um daraus zu lernen. Adaptieren Sie und erhalten Sie sich Möglichkeiten zur Improvisation und zur Flexibilität.
„Faszinierend“, meint dazu der spitzohrige Vulkanier. „Der menschliche Faktor, logische Prozesse durch gute Kommunikation und agiles Vorgehen zur Bewältigung. So entsteht also unsere Enterprise-PIM-Software. Oder besser gesagt: Enterprise-PIM-Lösung.“
„Machen wir es so. Wie lange wird das dauern, Scotty?“
„Das hört niemals auf, Captain. Aber wenn wir agil vorgehen, schaffe ich uns sicher zum nächsten Quadranten in schätzungsweise drei Wochen.“
„Energie!“
Über den Autor
Quelle: communicode AGMichael Ochtrop war 2003 Mitbegründer und Gesellschafter der communicode GmbH & Co. KG und ist heute Anteilseigner der communicode AG. Seine Schwerpunkte sind Product-Information-Management und Media-Asset-Management. Er unterstützt bei System-Evaluierungen, Anforderungsmanagement (Scoping) sowie unternehmensspezifischen Lösungen im Bereich des Informationsmanagements und erarbeitet mit den Unternehmen Konzepte zur agilen Einführung von Geschäftsprozessen. Auf Basis seiner Erfahrung ist er gefragter Ansprechpartner für Strategieentwicklung, Change-Management, Prozessoptimierung und Digitalisierung in Unternehmen verschiedenster Branchen.
Bildquellen
- Michael Ochtrop: communicode AG
- clark-tibbs-oqStl2L5oxI-unsplash: Photo by Clark Tibbs on Unsplash
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