Der große Parteien-Website-Test


In dem Artikel “ Politiker lehren Verkaufen “ hatte ich mir die Websites der beiden wichtigsten Bewerber um die US-Präsidentschaft, Barack Obama und John McCain, vorgenommen. Schon damals waren viele deutsche Parteistrategen begeistert vom US-Wahlkampf. Nicht wenige sind nach Amerika gepilgert, um sich vor Ort anzuschauen, wie das Internet als Wahlkampfinstrument funktioniert. Doch haben sie für den Wahlkampf in Deutschland dazugelernt?

Der große Parteien-Test

Um diese Frage zu beantworten, habe ich mir die Sites der im Bundestag vertretenen Parteien angesehen. Im Folgenden meine rein subjektive Meinung zum Konzept der Websites – ungeachtet der Inhalte. Es geht nur um einen ersten Eindruck, nicht um einen ausführlichen Test. Alle Sites habe ich am 2.9.2009 zwischen 10:30 und 13:30 besucht. Zum Test der Suchfunktion habe ich nach sechs subjektiv ausgewählten aktuellen Begriffen auf der Site gesucht. Die Anzahl der Treffer steht am Ende jeder Beschreibung.

CDU

Die Startseite ziert eine große Flash-Fläche ohne Ersatz- bzw. Hintergrundbild. Aussagekräftige Links sind aber vorhanden. Und es gibt eine Mobil-Version, die ohne Flash auskommt.

Die Video-Seite ist mager. Nur eine Liste mit Videotiteln. Keine Bilder, keine Angaben zur Länge. Die Links führen auf eine Standard-YouTube-Seite ohne eigene Gestaltung. Und das, obwohl es auf YouTube einen hübsch gestalteten individuellen CDU-Kanal gibt.

Die Anmutung der Site ist generell modern, sie ist übersichtlich und man findet schnell, was man sucht.

Atomkraft: 2 Treffer (beide nur zu Problemen im AKW Krümmel)
Studiengebühren: 1 Treffer (zu Wahlkampf in Sachsen)
Internetsperren: 0 Treffer
Kinderpornografie: 1 Treffer
Finanzkrise: 22 Treffer
Arbeitslosigkeit: 12 Treffer

CSU

Auf der Startseite zwei große Flash-Flächen ohne Ersatz- bzw. Hintergrundbild. Wer kein Flash hat, guckt in die Röhre. Es gibt aber einige Links (Hauptnavigation), mit denen man in die Site kommt.

Die Anmutung ist sehr „Web-2.0ig“, aufgeräumt und leicht. Die Site ist übersichtlich und man findet schnell, was man sucht. Gut gelöst: die Themenliste als Menüpunkte der zweiten Ebene.

Weniger schön: Text in GROSSBUCHSTABEN bei den „Weiterführenden Links“ in der rechten Seitenleiste.

Atomkraft: 1 Treffer (Regierungserklärung)
Studiengebühren: 2 Treffer
Internetsperren: 0 Treffer
Kinderpornografie: 1 Treffer
Finanzkrise: 63 Treffer
Arbeitslosigkeit: 33 Treffer

SPD

Die Startseite sieht aus wie die Obama-Kampagnensite in Rot. Technisch perfekt. Klare Formulierungen sowohl was die Handlungsaufforderungen betrifft, als auch was die Inhalte der Partei betrifft. Mir persönlich hat die Seite etwas zu viele kleine Text-/Bildelemente. Unklar ist, was die Zahlen in den Sternchen daneben bedeuten. Klickt man darauf, wird es etwas dünn: Im Hauptteil der Seite sieht man dann ein paar Fotos und/oder Aufzählungen mit ganz wenig Text.

Unschön: Gibt es ein Video, liegt in der Mitte auf dem Bild eine Play-Taste, die aber manchmal gar nicht verlinkt ist, manchmal führt sie zu YouTube, manchmal wird das Video auf der aktuellen Seite abgespielt.

Atomkraft: 51 Treffer (Prima: 1. Treffer ist direkter Link zu Wahlzielen)
Studiengebühren: 49 Treffer
Internetsperren: 0 Treffer
Kinderpornografie: 1 Treffer (eine „Vorläufige Tagesordnung“)
Finanzkrise: 126 Treffer
Arbeitslosigkeit: 59 Treffer

FDP

Die Startseite sieht völlig anders aus als die aller anderen Parteien. Sie wirkt mehr wie die Site einer Zeitung und hat sehr viel Text. Eventuell an die höher gebildete Zielgruppe angepasst muss man richtig nachdenken, was man denn nun als Erstes anklickt.

Eine Kampagnen-Site gibt es aber trotzdem, die läuft unter „mit mach arena“ bzw. unter http://mitmachen.fdp.de. Fragen soll man an fdp-point@fdp.de richten, und wenn man fdp.de eingibt, dann landet man bei liberale.de. Zwar haben auch die anderen Parteien mehrere Sites, doch die FDP stiftet hier mit den vielen Domains und Begriffen maximale Verwirrung. Alles wirkt etwas zusammengeschustert.

Gut gefällt mir der Video-Bereich. Jedes Video hat ein Vorschaubild, einen Titel und eine Längenangabe. Und die Videos laufen alle direkt auf der Seite. Perfekt. Noch dazu: Bei YouTube stößt man bei der FDP schnell auf den individuell gestalteten Kanal. Vorbildlich.

Atomkraft: 2 Treffer
Studiengebühren: 0 Treffer
Internetsperren: 9 Treffer (alle haben die Überschrift „Portal Liberal der FDP, FDP-Fraktion und Stiftung für die Freiheit“)
Kinderpornografie: 3 Treffer
Finanzkrise: 10 Seiten x 10 Treffer
Arbeitslosigkeit: 10 Seiten x 10 Treffer
Die Suche nutzt Google. Die Anpassung ist aber mau, zum einen optisch, aber auch inhaltlich/funktional.

Die Linke

Unter linke.de und dielinke.de konnte ich keine Site finden, ich musste mir die Domain die-linke.de ergoogeln.

Die Startseite hat auch ein bisschen was von Zeitung, wobei sie noch mehr an ein typisches Blog erinnert. Die Aufmachung ist ordentlich, man findet sich zurecht, wird aber nicht so leicht in die Site gezogen wie bei den Volksparteien.

Text in Großbuchstaben erschwert leider an einigen Stellen die Lesbarkeit. Die Videos sind im Bereich „Mediathek“ versteckt. Man muss den Link „VIDEO-PODCAST 60+“ finden und dann auch noch wissen, dass es um 60 Sekunden geht, nicht um Videos für Menschen über 60. Das Video läuft auf der Seite, und es hat eine ausführliche Inhaltsangabe. Bei meinem Test kam leider nur etwa ein Bild pro Sekunde trotz ganz dicker Firmen-DSL-Leitung.

Die Linke hat einen sehr guten, individuell gestalteten YouTube-Kanal. Den Link darauf habe ich aber auf ihrer Website leider nicht gefunden. Schade.

Atomkraft: 20 Treffer
Studiengebühren: 117 Treffer
Internetsperren: 2 Treffer
Kinderpornografie: 1 Treffer
Finanzkrise: 295 Treffer
Arbeitslosigkeit: 224 Treffer

Bündnis 90/Die Grünen

Die Startseite ist sehr bunt. Viele Banner laden zum Klicken ein. Ein kleiner Bereich links ist für kurze Teaser reserviert. Der oberste scheint ein Video zu sein, ob die Teaser darunter auch zu Videos führen, ist unklar.

Die Site hat klaren Kampagnen-Charakter, viele prägnante Slogans machen Lust, auf sie zu klicken. Die Site wirkt anregend, sich weiter zu informieren und auch sich zu beteiligen. Mr. Obama lässt grüßen.

Die Großschreibung auf den Bannern ist OK, bei den Teaser-Überschriften führt sie jedoch dazu, dass sie unnötig schwer lesbar werden.

Die Videos sind bei YouTube eingestellt, wo es auch einen individuellen Kanal der Grünen gibt.

Atomkraft: 70 Treffer
Studiengebühren: 62 Treffer
Internetsperren: 10 Treffer
Kinderpornografie: 17 Treffer
Finanzkrise: 67 Treffer
Arbeitslosigkeit: 66 Treffer

Die Trefferseite verschenkt Platz, die Texte zu jedem Treffer sind aber aussagekräftig und klar.

Fazit: Obama hat auch in Deutschland gewonnen

Der Einfluss von Obamas Internetwahlkampf hat ganz deutlich seine Spuren im deutschen Web hinterlassen. Verglichen mit den letzten Wahlkampf-Sites haben die Macher der Partei-Websites enorm dazugelernt. Mir persönlich macht der Wahlkampf auf den Parteiwebsites viel mehr Spaß als in den Medien – offline wie online.

Nur an der FDP scheint die Entwicklung etwas vorbei gegangen zu sein. Was sie an Web-2.0-Funktionen bietet, wirkt angestrengt und teilweise anbiedernd. Ein überraschendes Ergebnis – selbst die Site der traditionsbewussten CSU wirkt auf mich moderner als das, was die Liberalen im Web veranstalten. Was vermutlich nicht daran liegt, dass ich aus Bayern komme. Was die FDP-Site aber am besten von allen Sites gelöst hat, ist die Einbindung der Videos. Da kann man noch was lernen.

Leider ist die FDP auch bei der Suchfunktion ein Hinterbänkler. Die Treffermenge ist nicht das Problem – außer bei „Studiengebühren“ gab es zu allen sechs Testwörtern Ergebnisse. Diese sind aber lieblos aufbereitet. Fast alle Seiten heißen „Portal Liberal der FDP, FDP-Fraktion und Stiftung für die Freiheit“. Es folgt zwar noch ein Auszug aus dem Seitentext, aber zum Klicken verführt das nicht.

Die Trefferliste bei der CDU ist zwar besser aufbereitet, inhaltlich sind die Ergebnisse aber dünn. Zu Themen, die von Konkurrenzparteien besetzt werden (wie Atomkraft und Studiengebühren), findet sich über die Suche nichts Überzeugendes. Bei der Schwesterpartei CSU ist das ähnlich.

Vorbildlich ist die Suchfunktion bei der SPD umgesetzt. An erster Stelle stehen hier Treffer zum Wahlprogramm – so wünscht man es sich. Auch die folgenden Links sind relevant und ermöglichen es dem Wähler, sich schnell einen Überblick zu verschaffen, wie die Partei zu wichtigen Sachfragen steht. Leider bleiben manche Themen unbesetzt („Internetsperren“ und „Kinderpornografie“).

Ordentlich sind die Suchfunktionen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Zeitgemäß und funktional.

Und der Obama geht an…

… die SPD. Die SPD hat am hemmungslosesten kopiert, wie das Obama-Team gearbeitet hat. Das Ergebnis ist aus konzeptioneller Sicht hervorragend. Nicht-SPD-Mitglieder könnten sich höchstens an dem vielen Rot stören, das macht die Site sehr wuchtig.

Die Grünen ziehen gut mit, hier ist die Farbe Grün naturgemäß extrem dominant. Die Site animiert zum Mitmachen und Weiterlesen. Nur die Inhalte wirken manchmal einen Tick zu sehr in den Hintergrund gedrängt vor lauter bunter Banner.

CDU und CSU arbeiten mit überraschend modernen Sites, die hervorragend funktionieren. Nur das Vertrauen auf den Konzern Adobe, dem Hersteller von Flash, ist unnötig. Dabei ist die Einbindung nicht zeitgemäß gelöst. Man kann Flash durchaus einsetzen, und für Video ist es noch immer erste Wahl. Doch um ein bisschen Bewegung auf der Startseite zu haben, kommt man ohne Flash aus. Wenn man aber nicht darauf verzichten will, dann legt man hinter den Flash-Film zumindest ein Bild, damit die Seite nicht so leer wirkt, wenn ein Nutzer ohne Flash vorbeikommt.

Als Übersicht meine persönliche Punktevergabe (jeweils minimal 1, maximal 5 Punkte):

Die Wahlempfehlung

Letztlich gilt: Auf die Inhalte kommt es an. Ich werde die Partei wählen, die das vertritt, was mir wichtig ist. Aber lernen kann man von den Sites aller Parteien, auch wenn man selbst keine Inhalte, sondern echte Produkte oder Dienstleistungen verkaufen will.

Bildquellen

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