E-Commerce und stationärer Handel: eine Beziehung mit Zukunft


No-Line-Handel, ROPO-Effekt, Omni-Channel oder Showrooming – Die Liste der Buzzwords wird immer länger. Sie stehen dafür, dass der Verbraucher heute nicht mehr nach unterschiedlichen Shoppingkanälen unterscheidet. Sondern nach Lust und Laune zwischen stationärem Handel, Online-Handel und mobilen Angeboten hin- und herspringt. Insbesondere die rasante Verbreitung von mobilen Endgeräten verändert die Lage im E-Commerce.

„Der Online-Handel wird künftig zum No-Line-Handel“, ist Prof. Dr. Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb-Research-Center der Hochschule Niederrhein, überzeugt. Denn die Kunden unterscheiden nicht mehr zwischen den Kanälen und kaufen entweder gezielt on- oder offline ein. Vielmehr suchen sie verschiedene Zugangswege zu ihrem Marken-Shop: im Internet, über das Smartphone – oder eben über das stationäre Geschäft in der Innenstadt.

Verbraucher differenzieren nicht mehr nach Kanälen

Der Begriff „No-Line-Handel“ beschreibt, wie sich die Perspektive der Verbraucher geändert hat. „Die differenzieren nicht mehr nach Kanälen, sondern nutzen verschiedene Zugangswege zu ihrem Händler – je nach Laune und Rahmenbedingungen“, sagt auch Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer der IfH Institut für Handelsforschung GmbH in Köln. Die Shopper– so auch dieser Experte – springen zwischen den Welten hin und her und sind mit dem Anbieter auf verschiedenen Wegen verbunden („hyper-connected“).

Typisch ist dabei der ROPO-Effekt (Research Online, Purchase Offline): Kunden informieren sich online über Produkteigenschaften, vergleichen Preise und lesen Empfehlungen anderer Kunden, bevor sie ein Produkt offline kaufen. Allerdings gibt es dieses Phänomen auch andersherum: Verbraucher machen sich im Laden schlau und schauen sich die Ware an, um sie anschließend im Internet kostengünstig zu ordern. Dann steht ROPO für: Research Offline, Purchase Online.

Omni-Channel ist die Antwort auf das Showrooming

Über dieses um sich greifende „Showrooming“, bei dem Besucher mit Hilfe von Smartpone-Apps nur die Preise vergleichen wollen und den Laden ohne Einkauf wieder verlassen, wird im stationären Einzelhandel heftig diskutiert und nach einem Gegenmittel gesucht. Laut einer Studie der Columbia University in New York zählt inzwischen weltweit mehr als jeder fünfte Kunde zu dieser Kategorie, wobei die Männer und die Digital Natives im Alter zwischen 20 und 35 Jahren häufiger „Showroomer“ sind.

Eine Omnichannel-Strategie, bei der Einzelhändler die unterschiedlichsten Kanäle bedienen und darüber ihre Produkte anbieten, ist der sinnvollste Weg zur Reaktion auf diesen Trend. Dabei müssen sie an allen Touchpoints – den Berührungspunkten zum Kunden – ein möglichst einheitliches und konsistentes Kundenerlebnis bieten. Alle Aktivitäten sollten zudem möglichst vernetzt stattfinden, um so Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Denn die Chancen, die mit der wachsenden Zahl der Kommunikationskanäle verbunden sind, stellen zugleich auch ein erhöhtes Risiko dar: Ein Kunde, der im Internet, auf dem Smartphone oder dem Tablet ein schlechtes Nutzererlebnis hat, meidet höchstwahrscheinlich auch den stationären Laden oder das Teleshopping-Angebot und ist dann für das betroffene Unternehmen einfach komplett offline.

Unterschiedliche Kaufmotivation der Kunden beachten

„Wer als Händler vor Ort bestehen möchte, muss sich bei seinem Angebot mehr denn je von den Kaufmotiven der Kunden leiten lassen“, rät Fritze von Berswordt, Partner der Düsseldorfer Strategieberatung SMP und Autor der Handelsstudie „Customer-Motivation-Index“. Danach wissen heute fast 70 Prozent aller Kunden genau, was sie kaufen wollen, bevor sie ein Ladengeschäft betreten. Nur noch 33 Prozent lassen sich im Geschäft inspirieren und lediglich 25 Prozent shoppen wegen der Hoffnung auf Fachberatung im stationären Handel.

Wer etwas sofort haben möchte, geht nach wie vor in den Laden

Der Einkauf dort ist vor allem durch den sofortigen Bedarf der Ware bei gleichzeitiger Hoffnung auf schnelle Erledigung motiviert. „Wer etwas sofort haben möchte, geht nach wie vor in den Laden“, sagt von Berswordt. Erwartungen an einen besonderen Service seien hingegen kaum Auslöser, um Ware stationär zu erwerben. Wer sich für den Kauf in einem Online-Shop entscheidet, den – so die Studie – treiben im Gegensatz dazu vor allem Motive wie Bequemlichkeit, gute Preise und Produkttransparenz. Die Bequemlichkeit wirkt sich wiederum auf die Mobilität der Verbraucher aus: Schon ab einer erwarteten Anfahrtszeit von 15 Minuten neigen Kunden erheblich zum Online-Kauf. „Händler können darauf mit weiteren Standorten, besser aber mit einem ergänzenden E-Commerce-Angebot reagieren“, zieht der Berater den Schluss.

Online-Shops des stationären Einzelhandels sind Mangelware

Onlineshops des stationären HandelsDoch da gibt es in Deutschland noch erheblichen Nachholbedarf. „Erst ein Drittel des stationären Einzelhandels verfügt über einen Online-Shop“, kritisierte Dr. Michael Otto, Aufsichtsratschef der Hamburger Otto Group letzten November auf dem Deutschen Handelskongress 2013 in Berlin. Während der Versandhandelsriese in diesem Segment inzwischen 57 Prozent aller Erlöse in seinen weltweit rund 100 Online-Shops erwirtschaftet und damit im internationalen Vergleich zweitgrößter Online-Händler nach Amazon.com ist, gibt es im klassischen Einzelhandel nach wie vor große Bedenken.

Am stärksten wiegt dabei wohl die Befürchtung, durch das Internet Käufer zu verlieren. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Das Internet wird zwar von den meisten Verbrauchern als Recherchemedium genutzt, aber längst nicht von allen auch als Bestellkanal. Meist verläuft der Kaufprozess in drei Schritten: Die Anregung kommt laut einer Google-Studie offline: TV-Werbung (37 Prozent), Mailings (31 Prozent) oder Zeitung (29 Prozent). Kurz vor dem Einkaufen dominieren jedoch Internet und Freunde mit folgenden Nutzeranteilen: Suchmaschinen (50 Prozent), Gespräch mit Freunden (49 Prozent) und der Online-Produktvergleich (38 Prozent). Beim dritten Schritt – dem Kauf selbst – bevorzugen nach wie vor die meisten Verbraucher den stationären Handel. Nur bei den Kategorien Elektronik und Bücher dominiert der Bestellkanal Internet. Doch auch beim Kauf von  Kleidung und Schuhen wächst der Online-Anteil inzwischen rasant.

Das Wachstum des Handels findet im E-Commerce statt

Von den 428 Milliarden Euro Gesamtumsatz, die der Handelsverband Deutschland (HDE) für 2013 geschätzt hat, stammen rund 33,1 Milliarden aus dem E-Commerce. Das entspricht einem Onlineanteil von 7,7 Prozent. Während der Handel insgesamt stagniert, steigen die Umsatzzahlen im E-Commerce jedoch um jährlich 12 Prozent. Wer es schafft, das Beste aus beiden Welten effizient zu verbinden, hat die Nase vorn. Das zeigt auch eine repräsentative Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC aus dem letzten Dezember. Für sie wurden 1.005 Konsumenten befragt, die mindestens einmal im Internet eingekauft haben – und zwar in Einzelhandelsketten, die neben ihren Filialen mindestens einen weiteren Vertriebskanal (z.B. Online-Shops, TV- oder Social-Media-Shopping) unterhalten.

die beliebtesten Multichannel-HändlerDanach zählt der Discounter Lidl mit 26 Prozent zu den beliebtesten Multichannel-Händlern in Deutschland. Auf dem zweiten Rang folgt der Modefilialist H&M (20 Prozent) vor den Lebensmitteleinzelhändlern Edeka und Rewe (jeweils 18 Prozent). „Bemerkenswert ist das gute Abschneiden der Lebensmittelhändler im Beliebtheitsranking. Offensichtlich zahlt sich der lange Atem bei der Ausweitung der Online-Angebote aus“, kommentiert Gerd Bovensiepen, Partner und Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter in Deutschland und Europa bei PwC. Zwar kaufen erst vergleichsweise wenige Befragte frische Lebensmittel via Internet, die Multichannel-Strategie der Händler werde aber positiv wahrgenommen. „Es ist daher davon auszugehen, dass schon bald mehr Konsumenten online bestellen und sich Lebensmittel nach Hause liefern lassen“, glaubt der Consultant.

Trennlinie zwischen Online- und Offline-Shopping verschwimmt

In anderen Einzelhandelssegmenten verschwimmt die Trennlinie zwischen Online- und Offline-Shopping bereits heute. Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil der Multichannel-Shopper beispielsweise bei den Modefilialisten – bei Esprit etwa kauft jeder vierte der Befragten sowohl online als auch im Ladengeschäft, bei H&M liegt die Quote bei annähernd 20 Prozent. Stark ausgeprägt ist das Multichannel-Shopping auch bei Tchibo: Hier kaufen 23 Prozent der Befragten sowohl off- als auch online.

Anteil Multi-Channel Käufer nach HändlernDer Umfrage zufolge können stationäre Einzelhändler insbesondere punkten, wenn die Verfügbarkeit von Waren im Ladengeschäft im Internet abrufbar ist – immerhin 83 Prozent der Befragten legen Wert auf diesen Service. Für zwei Drittel der Konsumenten zeichnen sich gute Filialisten auch dadurch aus, dass sie Online-Bestellungen in den Ladengeschäften zurücknehmen. Jeder dritte Befragte schätzt die persönliche Ansprache via Social Media.

„Das Internet erweist sich für Filialisten vor allem dann als erfolgreicher Vertriebskanal, wenn sich die jeweiligen Stärken von Online- und Offlinepräsenz sinnvoll verbinden lassen. Beispielsweise schätzen viele Konsumenten die Möglichkeit, sich auf den Webseiten der Anbieter über Produkteigenschaften zu informieren und unverbindlich Waren in die Filiale vor Ort zu bestellen“, erläutert Bovensiepen. „CLICK + COLLECT“ nennt sich dieses Prinzip beispielsweise beim Warenhauskonzern Karstadt.

Smartphones und Tablets verändern das Einkaufsverhalten weiter

Mit der zunehmenden Verbreitung von Smartphones und Tablets bekommt der stationäre Handel eine weitere Chance, um im Omni-Channel-Geschäft zu punkten. So hat eine Studie der Rotman School of Management der University of Toronto zusammen mit der City University of Hong Kong gezeigt, dass auch im E-Commerce der physische Kontext offensichtlich eine gewaltige Rolle spielt. Er hat direkten Einfluss auf Produktauswahl und persönlichen Geschmack – und beeinflusst mit, was online eingekauft wird. Bei der Untersuchung des Verhaltens von Nutzern mobiler Endgeräte zeigte sich, dass es deutlich anders ist als am PC.

Die Verwendung von Suchmaschinen fiel den Verbrauchern schwerer – was dazu führte, dass die Probanden jene Seiten bevorzugten, die ganz vorne auftauchten. Auch der Ort der Nutzung spielte eine Rolle. Anzeigen für Läden, die in der Nähe des Wohnorts lagen, wurden häufiger angeschaut. Mit jeder Meile, die ein werbetreibendes Geschäft näher am Nutzer lag, verstärkte sich die Klickwahrscheinlichkeit um 23 Prozent. Am PC stieg sie dagegen nur um 12 Prozent.

„Wir wissen noch nicht, ob und wie der Boom der Smartphones das Gleichgewicht zwischen Online- und Offline-Händlern beeinflussen wird. Es ist aber schon heute klar, dass Offline-Läden davon profitieren, wenn sie Online-Kanäle nutzen. Gleichzeitig müssen aber auch die E-Commerce-Anbieter verstehen, wie und wo ihr Kunde lebt“, unterstreicht der E-Commerce-Experte und Studienautor Prof. Avi Goldfarb.

Shopping-Malls setzen auf mobile Apps beim Einkauf

In Deutschland testet derzeit der Shopping-Mall-Betreiber ECE in zwei Einkaufszentren in Hamburg und Essen Apps für mobile Endgeräte, die den Kunden beim Eintritt in die Ladenzeilen über Neuigkeiten aus den einzelnen Shops sowie gerade laufende Rabatt-Aktionen informiert. Außerdem können die Nutzer damit besondere Angebote in ihren sozialen Netzwerken teilen. „Die Reaktionen und Nutzerzahlen für die Apps sind bereits ermutigend, so dass derartige Angebote auch in anderen Centern geplant sind“, berichtet ECE-Chef Alexander Otto.

Der europäische Marktführer bei den Einkaufsgalerien, der insgesamt 189 Anlagen im Management hat, ist zusammen mit Roland Berger Strategy Consultants der Frage nachgegangen, welche Zukunftsperspektiven es für den stationären Einzelhandel im Internet-Zeitalter noch gibt. Dazu wurden rund 42.000 Konsumenten zu ihrem Einkaufsverhalten befragt und knapp 2.000 Einkaufstagebücher ausgewertet – mit zum Teil überraschenden Ergebnissen. „Die Auswertung der Daten zeigt, dass die Wirklichkeit wesentlich komplexer ist als die gängigen Debatten“, so Otto. Einerseits werde die Geschwindigkeit, mit der der Online-Handel an Umsätzen zulegt, vielfach sogar unterschätzt und liege nach der Studie bereits bei fast 16 Prozent aller Einkäufe.

Andererseits kauften immer noch die meisten Konsumenten deutlich häufiger offline ein als online – auch junge Kunden und onlineaffine Gruppen. ECE wolle daher die Shopping-Center mit den neuen Mobil-Angeboten auch für die Internet-Nutzer attraktiver gestalten. Zugleich werden künftig neue Mieter in den Malls auch darauf hin überprüft, ob sie beim Thema Online-Einkauf bzw. Multichanneling zukunftsfähig sind. „Letztlich haben gerade Shopping-Center mit ihrer großen Flexibilität und den starken Werbegemeinschaften der Mieter beste Voraussetzungen, die nützlichen Aspekte der Online-Welt in eine einzigartige Offline-Welt zu überführen und dort die Kunden weiterhin zu begeistern“, ist Alexander Otto überzeugt.

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