Eine schonungslose und selbstkritische Bestandsaufnahme
Alle reden davon, wenige setzen es bereits (erfolgreich) um und viele wissen nicht einmal ob sie so etwas benötigen. Die Rede ist vom Imperativ „Social“. Doch als wenn Social noch nicht genug wäre, werden im gleichen Atemzug „Collaboration“, „Social Networking“ genannt, welche unbedingt lieber gestern als morgen im Unternehmen eingesetzt werden sollen. Schnell sollen diese neuen Features eingeführt werden, damit die Mitarbeiter dem Verlangen nach dem „Instant Consuming“ nachkommen. Mitarbeiter nutzen dabei häufig schon Anwendungen die so nicht zugelassen oder geduldet werden – aus Mangel an Alternativen.
Mitarbeiter und Leiter von IT-Abteilungen sind (berechtigterweise) überfordert, frustriert, die Signale stehen auf Resignation.
Probleme von einer anderen Welt
Doch seien wir doch einmal ehrlich zu uns selbst und blicken einmal nüchtern über die IT-Landschaften dieser Landen. Viele Unternehmen arbeiten nahezu immer noch mit File-Servern sowie Aktenkellern, in welchem sich tausende von Akten stapeln. Die rechtlichen Anforderungen in vielen Umfeldern wie öffentlichen Bereich, Military & Airospace und Branchen mit besonders hohen Sicherheitsanforderungen (bspw. Pharma) sind teilweise enorm. Hier sind die Auflagen teilweise dermaßen hoch, dass sich aus Kostengründen eine aktuelle Umsetzung nicht lohnt oder gar keine vernünftige Software vorhanden ist. Auch das allseits beliebte Thema Ressourcen-Mangel und Zuständigkeiten tun sicherlich ihr übriges.
Was an dieser Stelle vermittelt werden soll, ist der Faktum, dass wir uns noch lange nicht in einer Zeit befinden, in welche Themen wie ECM-Systeme, Wissensmanagement allgegenwertig sind. Und ich habe höchstes Verständnis dafür – die Welt hat in den letzten Jahren zu schnell an Komplexität gewonnen. Im Gegenzug hat das Knowhow in vielen Abteilungen sich eher auf die Abarbeitung klar ersichtlicher und abgetrennter Aufgaben verwandelt (Warten von System X, Pflege des Systems Z, Neue Entwicklung Y, Berechtigungsvergabe auf Netzlaufwerk, Ablöse von alten RZ-Umgebungen).
Doch auf einmal soll das alles nicht mehr ausreichen als nur den Betrieb zu gewährleisten? Es geht da jedoch schon längst nicht mehr ausschließlich um den reinen Betrieb sondern um das vernetzte Arbeiten von Anwendungen, um Arbeitszeiten zu verkürzen (Stichwort: Rationalisierung), die Wertschöpfungskette nachhaltig zu erhöhen. Geschäftsprozesse müssen ohne Zeitunterbrechung zwischen Deutschland, Österreich und China ausfallsicher übertragen werden – und das rund um die Uhr.
Und jetzt das – „Social“. Die Umsetzung darf und muss sich an sozialen Netzwerken wie Facebook, LinkedIn messen lassen – und muss natürlich jederzeit und überall zur Verfügung stehen.
Ist der Zug abgefahren?
Haben Sie sich dabei ertappt gefühlt, ernsthaft diese (zugegeben) polemische Frage sich selbst zu stellen? Falls ja, gehören Sie zu den (nach meiner persönliche Einschätzung nach) zu einen großen Teil der Betroffenen Personen welche lieber zwei Schritte vorangehen wollen, als nur einen Voraus. Doch sei ihnen gesagt – der Zug ist niemals abgefahren. Nüchtern betrachtet, wird solange Sie ihr Business am laufen halten, die Welt sich weiter um ihr Unternehmen drehen.
Sie müssen das ganze wie eine Art Generationswechsel eines Autos betrachten. Haben Sie ein Auto zu Beginn des Jahrtausend-Wechsels gekauft und fahren es eventuell sogar heute noch, kommt ihnen vielleicht die ein oder andere Gerätschaft in den neuen Autos wie Teufelszeug vor. Ich kann mich gut an mein erst kürzlich ausgeliehenes Auto eines bayrischen Autoherstellers erinnern. Head-Up Display mit Anzeige der Geschwindigkeitsbegrenzung, automatisches Abbremsen bei zu starkem Auffahren und andere Features waren wie Dinge aus der anderen Welt – und da war mir klar: das brauchte ich auch. Ich habe mich auf einmal so schrecklich veraltet mit meinen Auto (Baujahr Ende 2006) gefühlt – obwohl bereits hier Funktionen wie Side Assist (Assistent welcher beim Überholen unterstützt und Warnungen von sich gibt wenn Autos zu nah auffahren) vorhanden sind.
Doch bei all den Schnickschnack kam mir dann irgendwann die Frage auf, verbringst du die Zeit dann mehr mit der Konfiguration eines solchen Autos. Können bei solchen Auto falsche Einstellungen zu einer Verschlechterung der Fahreigenschaften führen? Meine persönliche Erfahrung sagt mir ja: meine Side Assist Funktion hatte mich bei hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn einmal verlassen – wenn dann nicht der Schulterblick gewesen wäre …
Was Autos und Ihr Business gemein haben
Um den Bogen zu unseren eigentlichen Problem wieder zu spannen: auch wenn das Beispiel weit hergeholt seien mag, ist die Aussage prinzipiell die Gleiche. Der Kunde hat eine Erwartungshaltung über ein Produkt, einer Dienstleistung, einer bestimmten Erfahrung bereits im Kopf abgespeichert und verlangt nach einem entsprechenden Ausgleich – so funktioniert prinzipiell unsere Marktwirtschaft. Das Internet eben auch. Soziale Kanäle, Dropbox – all diese Dienste geben mir JETZT und unmittelbar die Möglichkeit, mein Verlangen zu befriedigen indem ich die gewünschte Funktion sofort ausführen kann. Die Wartezeit ist gleich null und das Ergebnis ist exponentiell nach außen an (un-)bestimmte Zielgruppen getragen (Sharen von Dokumenten an N Personen, Veröffentlichen von neuen Fotos an meine „Freunde“ in sozialen Netzwerken).
Und jetzt kommen wir eigentlich erst zum entscheidenden Punkt: ihre Nutzer verlangen zwar diese Features, wissen aber noch überhaupt nicht mit diesen in der Geschäftswelt umzugehen. Eine Lösung – zwei Welten. Wer sich im privaten Umfeld mit sozialen Netzwerken befasst, den aktuellen Status, seine Meinung, Fotos und Dokumente austauscht, hat sicherlich eine recht gute Übersicht über die Funktionalitäten, welche mit diesen Lösungen verwendet werden können.
Im IT-Unternehmen findet jedoch eine Transformation der Anforderungen statt – quasi die Arbeitskleidung für Unternehmen. Sicherlich kommen nicht viele Kollegen mit Schlapper-Hose und einfachem T-Shirt auf die Arbeit oder? Die interne Compliance versucht Standards für Jedermann und jeden Gegenstand zu definieren. Gehen wir einen Schritt weiter – wissen denn überhaupt ihre Mitarbeiter, wie die Kommunikation und der Austausch von Informationen ohne solche Netzwerke und Online-Dienste funktionieren könnte? Ist den Mitarbeitern bewusst, dass bspw. bei Projekteskalationen u.U. kein Auditing der Projektdokumentation vorliegt, um den Kunden/Lieferanten oder Partner zu beweisen, dass kein Fehler im eigenen Unternehmen vorgelegen hat?
Und noch ein wichtiger Punkt darf dabei nicht vergessen werden: bringt mir „Social“ soviel in meinem Business? Unterstützt es mich wirklich bzw. den Fachabteilungen oder ist es tatsächlich nur eine große Spielerei?
Der Weg ist das Ziel
„Social“ hat sicherlich ihre Daseinsberechtigung – keine Frage. Und die Mächtigkeit solcher Lösungen wird immer größer. Gartner hat unlängst ein neues Akronym hierfür erfunden – User Expierience Portals. Hierbei handelt es sich um nichts anderes, als dass sich der Nutzer vom Informationsbeschaffung zum „gleiten durch die Geschäftsprozesse“ hinbewegen soll. Doch wie bereits zu Beginn dieses Artikels erwähnt – soweit sind viele Unternehmen noch lange nicht.
Falls einige der Anforderungen an die „soziale Arbeit“ wirklich im Unternehmen eine extrem hohe Priorität genießt – sollte sich gemeinsam genau überlegt werden, welche Anforderungen Sie denn wirklich stellen und wie Sie sich eine Umsetzung im IT-Umfeld vorstellen können – inklusive Beteiligung der Partner, Lieferanten, usw. Dabei sollte lieber im kleinen Rahmen und vor allem mit Standard-Applikationen gearbeitet werden, welche offen für Schnittstellen in die wichtigsten Systemlandschaften bieten können. Damit ist natürlich zum einen das (vielleicht noch nicht vorhandene) Archiv gemeint.
Offenheit ist Trumpf – Möglichkeiten der Integration in CRM für Kundenakten, usw. geben der IT langfristig Sicherheit, die Flexibilität mit einem einmal ausgesuchten Produkt zu verlieren. Der Fokus sollte hier auf Portale gesetzt werden – diese bieten einen guten Mix aus (Social) Collaboration, Organisationsabbildungen, Dokumentenmanagement (in der Regel einfach gehalten – kann in „echte“ ECM-Systeme via CMIS integriert werden), Networking und Web Content Management. Prüfen Sie außerdem die Portale nach Benutzerfreundlichkeit und einfacher Wartbarkeit.
Doch wie soll ein System eingeführt werden, wenn die dafür notwendigen Ressourcen im Unternehmen für laufende Projekte eingesetzt werden? Sprechen Sie mit den richtigen Entscheider-Stellen und beziehen sie die Argumente der Fachabteilungen (der Leiter!) mit ein.
Der „sanfte“ Druck von der Seite veranlasst in der Regel die verantwortlichen Stellen dazu, einen ersten Schritt auf das Projektvorhaben zugehen zu können, indem bspw. ein interner Workshop mit anschließenden Lenkungsausschuss beauftragt wird. Ziel eines solchen Meetings sollte dann sein, eine Konzeptphase mit internen oder eventuellen externen Ressourcen zu etablieren, indem bspw. ein bereits ausgewähltes Produkt oder mehrere Lösung getestet werden. Dabei dienen die in dem Workshop formalisierten Business Cases die Entscheidungsgrundlage und die erste wegweisende Projektplanung, in welchen Schritten das Thema „Social“ auch bei Ihnen so richtig losgehen kann!
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